Blackbirds
Lenker herum und verfehlt um Haaresbreite den kleinen weißen zuckenden Schwanz des Rehs. Reifen greift in Schotter. Das Motorrad schlittert, dann überschlägt es sich. Hotdog trägt keinen Helm. Gesicht trifft Straße. Schotter und Asphalt bilden eine Bandschleifmaschine. Sie trägt sein halbes Gesicht ab, als wäre es bloß Rinderhack. Auge kullert aus zertrümmerter Höhle. Stoffpuppenkörper klappt in der Mitte zusammen, Rückgrat biegt sich, bricht dann. Die Mieze fliegt über ihn hinweg wie irgendeine verwirrte Superheldin und rudert dabei mit den Armen wie mit Windmühlenflügeln. Sie schreit. Das Rehkitz läuft ins Unterholz.
... und Miriam weicht aus, stößt ihm das Pfefferspray inden Mund und füllt seinen Hals mit dem Zeug. Es dauert nur zwei Sekunden, bevor er nach hinten fällt und auf den kalten Betonfußboden der Kneipe kotzt, rotes Gesicht, Augen wie Brandblasen, Rotz und Schweiß in stetem Strom.
Miriam zieht Ashley hoch.
»Wir müssen abhauen«, sagt sie.
Fleischberg greift mit einer kaputten Hand nach seinen Augen.
Ashley schnappt sich die andere Hälfte des zerbrochenen Billardqueues und knallt es Fleischberg über den Schädel. Miriam stößt ihn an.
»Ich sagte, abhauen!«
Ashley rennt weg, lachend.
Auf dem Weg nach draußen schleudert Miriam einen Zwanzig-Dollar-Origami-Felsbrocken hinter die Theke, wo Bleichgesicht sich versteckt. Ihre Schulter trifft die Tür und stößt sie auf. Die Außenluft trifft sie, zusammen mit dem Geruch nach nassem Asphalt und verschüttetem Bier. Es ist fast schwindelerregend. Um ein Haar stolpert sie über einen Brocken kaputten Parkplatz. Die fahlgelbe Straßenbeleuchtung ist nicht von dieser Welt. Das ferne Geräusch von Autos auf dem Highway füllt ihren Kopf. Sie kommt sich verloren vor. Wohin gehen? Wohin weglaufen?
Ashleys Hand findet ihr Kreuz.
»Hier lang!«, sagt er.
Sie folgt ihm. Er fummelt in seiner Tasche nach einem Schlüsselbund, und ehe Miriam es mitkriegt, reißt er die Fahrertür eines weißen Ford Mustangs aus den späten Achtzigern auf.
»Rein da!«, brüllt er.
Wie die Kakerlake aus Del Amicos Motelzimmer tut sie, was man ihr sagt.
Das Innere des Autos ist dunkel, unaufgeräumt, schmuddelig. Stellenweise ist Vinyl gerissen. Kaffeebecher und Plastikwasserflaschen bilden zu ihren Füßen einen klebrigen Abfallhaufen. Ein paar Spielkartenluftverbesserer baumeln am Spiegel, aber ihre Fähigkeit, den Zigaretten-und-Füße-Mief zu verdecken, haben sie schon lange eingebüßt.
Ashley dreht den Schlüssel in der Zündung um, aber der Motor stottert. Er bemüht sich immer wieder – kach-kach-kach-kach , ein stotternder Asthmatiker –, startet aber nicht.
»Was zum Teufel ist los?«, fragt sie. »Mach schon!«
»Ich weiß!«, blafft er sie an. Sein Fuß tritt aufs Gaspedal.
Kach-kach-kach-grrrr-kach .
Die Kneipentür – hundert Fuß weg, vielleicht auch weniger – fliegt auf.
Fleischberg taumelt heraus. Selbst in dem Kaputte-Leber-Licht des Parkplatzes kann Miriam den weißen Ring aus Spucke sehen, mit dem sein verzerrter Mund verspachtelt ist, den Schleim, der ihm aus Nasenlöchern und Augenwinkel baumelt wie bei einem wutschäumenden Bullen.
Was sie ebenfalls sehen kann, ist die Schrotflinte in seiner Hand. Sie hat keine Ahnung, wo die herkommt – war sie hinterm Tresen? –, aber das spielt keine Rolle, denn sie existiert, und er hat sie, und er ist angepisst.
»Mach, mach, mach!«, schreit Miriam. »Der hat ’ne Knarre!«
Der Wagen schenkt ihrer Panik Beachtung und erwacht rumpelnd zum Leben. Der Motor knallt und bebt zwar, aber es ist Auf-sie-mit-Gebrüll-Zeit. Ashley wirft den Rückwärtsgang rein und gibt Vollgas – unglücklicherweise auf den wütenden Berg mit der Pumpgun zu.
Die Schrotflinte geht los.
Die Heckscheibe explodiert und fliegt gegen die Sitze. Ein Rasseln und Prasseln von Glasstücken.
Der Mustang bockt wie das Wildpferd, nach dem er benannt ist, als Ashley den Vorwärtsgang reinhaut. Das Auto wirbelt eine Wolke aus Stein und Abgasen hinter sich auf. Esgaloppiert los, als ob jemand versuchen würde, ihm eine Reitgerte in den Hintern zu schieben. Noch ein dröhnendes Brüllen der Pumpgun, und Miriam hört die Schrotkugeln kleine Löcher ins Heck des Wagens stanzen, aber es ist zu spät für Fleischberg.
Mit quietschenden Reifen bricht der Wagen aus dem Parkplatz aus.
Ashley lacht.
SIEBEN
Kleiner Tod
Nacht.
Ein kleines Haus steht an einer kurvenreichen Seitenstraße. Glyzinien – auf
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