Blackbirds
Gewühl.
Es ist Nacht. Wie spät es ist, weiß sie nicht, sie ist sich nicht mehr sicher. Sie riecht die stinkenden Auspuffgase, als wieder ein Bus ankommt und abfährt und dabei seine Menschen wie ein Bulimiker erbricht, ehe er weiterfrisst. Auf der anderen Straßenseite ist Ashley; er sitzt auf einer blauen Bank und macht eine ungeduldige Rolle mit dem Zeigefinger, um zu sagen: Bewegung, Bewegung, Bewegung!
Einmal mehr denkt sie daran, abzuhauen. Vielleicht einfach in einen Bus steigen und fahren; es ist ja nicht so, als ob es das erste Mal wäre. Ihre Füße bleiben angeleimt. Sie ist sich nicht sicher, wieso.
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Der Busbahnhof in der Innenstadt von Charlotte ähnelt einem riesigen Flugzeughangar – eine offene Fläche, große gewölbte Überdachung, Oberlichter, die einen schwachen Schein vom Mond darüber hereinlassen. Sie kommt sich sehr klein vor.
Sie watet in die Menge, Hände draußen.
Derselbe Plan wie letzte Stunde und die Stunde davor und die Stunde davor – ihre Hände streifen die Hände von andern, oder sie berührt im Vorbeigehen eine nackte Schulter. Sie macht einen Schritt, und ...
In drei Jahren von heute an gerechnet umklammert die Frau die Ränder des Krankenhausbetts, schweißdurchnässt, und presst, presst, versucht eine Bowlingkugel durch eine Lücke von der Größe einer kleinen Faust zu pressen, und der purpurrote Kopf des Kindes erscheint, darauf schon ein magerer Mopp schwarzer Haare, und jetzt ist das Gesicht draußen, und es ist von etwas überzogen, das wie rosa Götterspeise aussieht, aber dann fangen die Werte an, verrückt zu spielen, und ein Arzt, der wie ein kleiner Sulu aus Star Trek aussieht, sagt etwas von ›obstetrischer Hämorrhagie‹. Ein Blutschwall, die Frau schreit, das Baby rutscht heraus, ein Floß auf Rot, und Nulllinie.
Miriam blinzelt das Bild weg. Sie beruhigt sich. Nicht dass sie das hier vorher noch nie gemacht hätte. Sie kann nur darüber staunen, wie viele Krankenhäuser sie schon ungewollt von innen gesehen hat. Sie lässt ihre bloße Schulter die Schulter eines Mannes in einem Tanktop streifen, als der gerade die Arme ausstreckt, um seine Frau zu umarmen ...
Der Mann ist allein, dreiundreißig Jahre von jetzt an gerechnet, in einem Krankenhaus. Er ist kahlköpfig. Der Krebs ist überall in ihm, wie Ratten in den Wänden. Er sitzt auf einem Stuhl in der Ecke und greift zum Nachttisch und findet ein Pillenfläschchen, und er zählt eine heraus, dann zwei, dann hält er inne. Er betrachtet diese beiden Pillen und dreht schließlich das Fläschchen einfach um in seine Hand und kriegt vielleicht zwei Dutzend davon, die er alle schluckt. Er sitzt ein Zeit lang da, ohne etwas zu merken, starrt einfach nur die Fußbodenplatten an, die Decke, wobei sein Gesicht jämmerlich allein aussieht, und er fängt an zu weinen; eine T aubheit schleicht sich von den Rändern herein. Das Kinn sinkt ihm auf die Brust. Der Mund erschlafft. Sabber sickert. Und dann ...
Na schön, was soll’s, denkt Miriam. Mann wird alt, wird krank, bringt sich um. Sie wird nicht traurig sein. Er schafft es bis ins hohe Alter, schön für ihn. Die meisten schaffen es. Das ist es, was ihr klar wird. Die meisten Leute schaffen es in die Sechziger und sterben dann an irgendeiner ›Alte-Leute‹-Krankheit – Krebs, Schlaganfall, Herzanfall, Krebs, Schlaganfall, Herzanfall, in einem fort, bis in alle Ewigkeit. Gratis dazu ein kleiner Diabetes. Eine Prise Lungenentzündung.
Die meisten Menschen sterben nicht jung, wenigstens nicht hier in Amerika. Die Tragödie ist unausweichlich, aber in diesem Land liegt sie normalerweise nicht in der Art, wie man stirbt, sondern vielmehr in der Art, wie man lebt. Gescheiterte Ehen, kaputte Kinder, Selbstmisshandlung, Misshandlung der Ehefrau, Misshandlung des Hundes, Einsamkeit, Depression, Ekel, Gähn, was auch immer. Glückwunsch , denkt sie, die meisten von euch Mistkerlen und Arschlöchern werden ihr beschissenes Leben bis weit in die Goldenen Jahre leben.
Natürlich macht das ihre Arbeit schwieriger.
Ashley will, dass sie eine Zielperson findet. Eine Zielperson, die bald sterben wird, jemanden, den sie auf Teufel komm raus ausnehmen können. Noch wichtiger, er will einen Unterschlupf. Wie sich herausstellte, war das Haus am Arsch der Welt gar nicht seins; er hat bloß irgendeinem Typen, der nach Übersee geflogen ist, die Schlüssel geklaut. Haus übernommen, eingenistet, die ganzen
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