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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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kapiert. Du hast die Trümpfe in der Hand. Schön für dich. Aber schnelle Biologiestunde – dieses Mädchen muss essen. Ich bin ein Mensch. Wir Menschen gedeihen von Essen, ganz zu schweigen von geistigen Getränken und Zigaretten. Ich habe Geld. Sollen wir in eine Waffelbäckerei gehen? Dann in ein Motel? Es geht auf mich.«
    Er scheint darüber nachzudenken. Dann nickt er. »Na schön. Jep. Auf geht’s!«
ZWISCHENSPIEL
    Das Interview
    »Der Junge mit dem Ballon«, sagt Miriam, und ihr Gesicht strafft sich.
    »Ja«, sagt Paul. Er wartet.
    Sie hasst diese Geschichte. Hasst es, daran zu denken. Hasst es am meisten, sie noch einmal zu erzählen.
    »Es war ungefähr zwei Jahre danach.«
    »Nachdem Sie ...«
    »Nachdem ich diese einzigartige Fähigkeit verdient hatte.«
    Paul zieht die Augenbraue hoch. »Das ist ein interessantes Wort. Verdient?«
    »Ja. Vergiss es!«, sagt sie und winkt ab. »Ich war hungrig und ohne besonderes Ziel in dieser Yuppie-Vorstadt von D.C. unterwegs, also ging ich in ein Wendy’s, um mir einen ihrer ... wie auch immer ihr Milchshake-ohne-die-Milch-Produkt genannt wird zu besorgen. Einen McSlurry.«
    »Einen Frosty.«
    »Egal. Ich bezahlte. Ich bekam mein Chemisches-Nebenprodukt-industrieschaumgezuckertes-Schmiermittel in einem Becher, und ich ging meinen Müll wegwerfen wie eine gute Bürgerin. Und da ist er.«
    »Er?«
    »Austin. Kleiner Flachskopf mit einem Gesicht voller Sommersprossen. Er hat diesen roten Folienballon mit dem Bild einer blauen Geburtstagstorte mit gelben Kerzen. Er war neun Jahre alt. Das weiß ich, weil er es mir erzählt hat. Er kam zu mir hin und sagte: ›Hi, ich heiße Austin; heute ist mein Geburtstag, und ich bin neun Jahre alt.‹«
    Miriam macht sich Sorgen über einen Fingernagel. Sie weiß, wenn sie so weitermacht, wird sie ihn bald bis auf die Nagelhaut abgekaut haben, deshalb schnippt sie, um sich daran zu hindern, noch eine Zigarette aus der Schachtel und zündet sie an.
    »Ich hab ihm gesagt: ›Ach ja? Schön für dich, Junge.‹ Ich bin nicht gerade der sentimentale Typ, aber ich mochte Austin. Er hatte diese vorlaute Naives-Kind-Weltsicht – jeder ist dein Freund, und das Beste, was dir passieren kann, ist, Geburtstag zu haben. In diesem Alter ist ein Geburtstag wie ... ein großer Eimer voller Möglichkeiten, eine auf den Boden ausgekippte Spielzeugkiste. Man wird älter, und man sieht allmählich, dass jeder Geburtstag in Wirklichkeit bloß eine Schleuse ist, und sie führt dich nach unten, nach unten, tiefer, tiefer. Auf einmal geht es bei Geburtstagen nicht mehrum Möglichkeiten, sondern nur noch ums Unausweichliche.«
    »Und dann haben Sie ihn berührt«, sagt Paul.
    »So wie du es sagst, hört es sich an, als hätte ich ihn in einem Lieferwagen sexuell belästigt. Fürs Protokoll, er hat mich berührt. Der Junge ergriff meine Hand und fing an sie zu schütteln, als wären wir jetzt Geschäftspartner oder so was. Wahrscheinlich hatte sein Papa ihm das beigebracht. Wie man jemandem richtig die Hand gibt wie ein großer Junge. Er schüttelte mir die Hand, und da sah ich es.«
    Miriam beschreibt es: Austin würde raus in den Verkehr laufen. Kleine Turnschuhe, die auf den Boden hämmern. Er würde nach oben langen. Nach oben sehen. Kleine Finger strecken sich aus, wackeln, während er vorwärtsflitzt. Hinter einem Ballon aus Folie her. Ein weißer SUV würde aus dem Nichts auftauchen. Er würde ihm die Schuhe von den Füßen reißen und den Körper des Jungen wie eine Puppe über den Asphalt purzeln lassen. Es würde zweiundzwanzig Minuten nachdem Miriam ihm begegnet war, passieren.
    Paul sitzt still da. Er versucht etwas zu sagen, lässt es dann.
    »Genau«, sagt Miriam. »Totes Kind. Bis dahin hatte ich gesehen, wie viele Menschen sterben würden. Und ja, ich hatte gesehen, wie ein paar Kinder ins Gras beißen würden, aber sie würden immer ... in Ermangelung eines besseren Wortes sage ich mal ... normal sterben. Vierzig, fünfzig Jahre später. Sie würden ihr Leben gehabt haben. Traurig, aber wir müssen alle ins Gras beißen und das Große Drecksnickerchen machen. Aber dieser Junge! Tot mit neun! Tot an seinem Geburtstag.«
    Sie nimmt einen langen Zug von der Zigarette.
    »Und es würde in meiner Gegenwart passieren. Ich war da. Ich dachte mir, das ist meine Chance. Ich kann das aufhalten. Ich kann – wie ist das Wort? – proaktiv sein. Bis dahin waren all meine Bemühungen passiv. Kerl wird in zwei Jahren betrunken am Steuer

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