Blackbirds
zusammen sein. Du wirst bloß mit Scheiße bedeckt. Meiner Scheiße. Meinen Problemen, meinen Gefühlen, meinem alles Möglichen. Ich bin wie ein Eimer voll Abwasser, der über deinem Kopf ausgeleert wird. Geh und such dir ein nettes Mädchen! Eins in einem leichten Sommerkleid. Eins, das sich weniger wohlfühlt bei Worten wie ›Arsch‹, ›Schwanz‹, ›Loch‹ und ›Lutscher‹.«
»Aber ...«
»Kein Aber. Das war’s. Du bist süß.«
Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn aufs Kinn.
»Ich wünsche dir ein schönes Leben«, sagt sie, und sie will ihm die Wahrheit erzählen. Sie will sagen, dass es das für ihn gewesen ist, dass er nicht mehr lange hat – sie will ihn dazu anhalten, sich eine Prostituierte zu besorgen, den ekligsten und teuersten Cheeseburger essen zu gehen, den er finden kann, und sich um Himmels willen von Leuchttürmen fernzuhalten. Aber sie sagt nichts von alldem. Ein winziger Teil von ihr hofft, dass sie sich von ihm fernhalten kann.
Das wird das Geheimnis sein. Der Trick. Das wird es sein, was ihn rettet. Es ist eine faule, passive Theorie – aber weil proaktiv sein ihr bisher verdammt noch mal exakt gar nichts eingebracht hat, ist es alles, was sie hat.
»Warte!«, ruft er ihr hinterher, aber es ist zu spät. Sie ist im Mustang. Sie beschwört ihn anzuspringen.
Und sie lässt den Schotter spritzen, als sie aus dem Parkplatz ausschert.
»Wieder eine Pleite«, sagt Frankie, während er sich die Augen reibt. »Wir werden diesen kleinen Schwanzlutscher niefinden! Ingersoll wird sich unsere Eier zum Brunch servieren lassen.«
»Ich habe keine Eier«, sagt Harriet, während sie das Auto direkt hinter dem Moteleingang parkt. Sie lässt den Motor laufen, dunkelt aber das Licht ab.
»Was machst du da?«
»Warten.«
»Worauf?«
»Auf das Mädchen.«
»Welches Mädchen? Das Mädchen, dem wir gerade begegnet sind?«
»Ja. Sie haben gelogen.«
Frankie schaut erstaunt drein. »Was? Wer? Paul Bunyan vorhin und seine kleine zickige Schlampe?«
»Beide. Das Mädchen lügt besser als der Mann. So sehr, dass sie mich fast hatte. Aber sie bemüht sich zu sehr. Die Lügen des Mannes hingegen waren ausgesprochen durchsichtig.«
»Woher weißt du solche Sachen immer?«
»Die Augen. Das hat Ingersoll mir beigebracht. Sie lügen, deshalb blinzeln sie. Oder sie schauen nach oben und rechts, wenn sie auf die kreativen Teile des Gehirns zugreifen. Pupillen schrumpfen. Ein Augenlid zittert. Es ist eine Panikreaktion. Ich kann es spüren. Die meisten Beutetiere reagieren mit einem Zucken des Kopfes, einer plötzlichen Augenbewegung. Lügen ist eine Angstreaktion. Diese beiden hatten Angst.«
Während der Wagen leerläuft, hören sie das Knattern von Schotter.
Augenblicke später kommt der Mustang vorbeigerast. Hecklichter funkeln.
»Und da kommt das Pferd von der Koppel«, sagt Harriet.
Sie fährt den Wagen langsam auf die Straße, still und tödlich wie ein Hai.
ZWISCHENSPIEL
Das Interview
»Ben Hodges.«
Miriam spricht den Namen aus und lässt ihn in der Luft hängen wie lauter dreckige Wäsche auf der Leine.
»Eins wollen wir mal klarstellen: Ben war schwach. Schwach, wie ich schwach war. Da hatten wir diesen Jungen in der Schule. Nicht hässlich, aber auch kein Quarterback. Eine Mähne schmutzig-blonden Haars. Sommersprossen auf den Wangen. Langweilige Augen, aber süß. Wir hatten viel gemeinsam. Wir waren beide Einzelgänger, mehr aus Notwendigkeit, als dass wir tatsächlich so hätten sein wollen. Wir waren beide heimatlose Niemande. Wir beide hatten tote Papas und unterdrückerische Mamas – du weißt ja von meiner Mutter, aber seine? Bäh! Eine verstörte, schreckliche Frau. Eine Höhlenbewohnerin. Sie war – kein Scheiß, halt dich fest – eine Holzfällerin! Du weißt schon, die Bäume hochklettern, den Stamm mit ihren Riesenschenkeln umklammern, Kettensäge verspritzt Sägemehl.«
Sie hält inne, weil sie sich erinnert.
»Weiter«, sagt Paul.
»Wir waren nicht befreundet, er und ich. Haben nie mehr als zwei Worte miteinander gewechselt. Aber manchmal ertappte ich ihn dabei, wie er mich anstarrte, oder er mich, wie ich ihn anstarrte. Wir gingen in den Fluren aneinander vorbei, verstohlene Blicke, die ganze klischeehafte Scheiße. Und eines Abends ist es dann passiert. Meine Mutter war im Großen und Ganzen keine Trinkerin. Sie verurteilte es, als wäre Alkohol die Milch des Satans. Und trotzdem wusste ich, dass sie, alle Schaltjahre mal, einen Schluck
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