Blackbirds
Louis auf Tour ist.
»Glauben Sie mir, es ist ein beschissener Beschiss.«
»Benutzen Sie keine solche Sprache bei mir.«
Irgendwo da drin hört Miriam die Stimme ihrer Mutter. Sie nickt. »Tut mir leid.«
»Es ist kein Betrug, es ist kein Blendwerk. Die übersinnliche Dimension ist durchaus real.«
»Ich weiß, dass sie das ist.«
»Ach ja?«
»Ich bin medial veranlagt. Hätten Sie das nicht wissen müssen?«
Die Frau schnalzt mit der Zunge. »Wenn Sie wirklich medial veranlagt wären, dann wüssten Sie, dass es nicht auf diese Weise funktioniert und selten so simpel ist.«
»Sehr richtig, Miss Nancy! Sehr richtig. Na schön, vierzig Dollar dann also.« Miriam schiebt zwei Zwanziger über den Tisch. »Und vielleicht, wenn Sie wirklich gut sind, kaufe ich noch eine Strickmütze oder einen Aschenbecherwärmer.«
Miss Nancy nimmt das Geld und steckt es, etwas überraschend, in ihre Strickjacke, unter den Kragen – im Grunde in ihren Ausschnitt.
»Nun, was soll es sein? Tarot? Wollen Sie die Hand gelesen bekommen? Ich lese auch aus Teeblättern.«
»Ich lese in der Regel bloß vom Boden eines Schnapsglases. Bei obigen Alternativen sage ich, keine der Aussagen trifft zu, danke.«
Miss Nancy wirkt verwirrt.
»Ich bin medial veranlagt«, sagt Miriam. »Schon vergessen? Kommen Sie schon, Nancy! Sie brauchen diese Sachen nicht. Vielleicht ist das Endresultat kein Betrug, aber dieseSachen sind es irgendwie schon, oder? Die hübschen Karten? Die Geheimnisse, die angeblich in meine hübsche Handfläche eingeschrieben sind? Sie brauchen doch nur Haut auf Haut. Eine bloße Berührung genügt. Habe ich recht?«
Miriam ist sich nicht so sicher, ob sie recht hat – sie hat sich gerade weit aus dem Fenster gelehnt, denn sie hat vorher noch nie jemanden kennengelernt, der von sich behauptete, ein echtes Medium zu sein. Aber so funktioniert eben ihre eigene Gabe, und angenommen, das Schicksal funktioniert auf eine bestimmte Weise, mit bestimmten Regeln, und verlangt gewisse Dinge von seinen endlos schuftenden Arbeitern, dann geht sie davon aus, dass Miss Nancy an die gleichen Vorschriften gebunden ist.
Unterm Tisch japst der Beagle und furzt.
»Wohl wahr«, sagt Miss Nancy endlich, wobei ihr Lächeln ein verkniffenes Runzeln ist. Sie öffnet die Hand und tippt darauf. »Legen Sie ihre Hand in meine.«
»Ich will, dass Sie mir ehrlich sagen, was Sie sehen.«
»Das werde ich, Schätzchen. Ich verspreche es.«
»Kein Geschiss drum rum – äh, kein Drumherumreden.«
»Legen Sie einfach Ihre Hand in meine.«
Miriam streckt die Hand aus und legt sie in den Griff der Frau.
Nancys Hand ist warm. Miriam ist kalt.
Sie sitzen ein paar Momente da. Schweigend. Es trifft Miriam unvermittelt – sie sieht nicht, wie diese Frau stirbt. Keine Vision. Kein Spielende. Kein Tod. Es ist, als wäre die Frau eine abtrünnige Agentin, getrennt vom Fluss von Zeit und Vorsehung, ungebunden durch ...
Nancys Finger schließen sich wie eine Fliegenfalle um Miriams Hand.
»Aua, hey –«, sagt Miriam.
Der Griff wird fester. Der Hals der Frau spannt sich an, bis die Adern hervortreten. Miriam versucht, die Hand wegzuziehen, kann aber nicht. Nancy reißt die Augen auf. Das Weiße darin fängt an, rot zu erblühen von geplatzten Blutgefäßen. Sie knirscht so heftig mit den Zähnen, dass Miriam Angst hat, sie könnten zerbrechen.
Miriam zerrt noch einmal an ihrer Hand, aber es ist, als würde sie in einem Schraubstock stecken – und die Hand der Frau wird wärmer, heißer, als ob sie sie verbrennen könnte.
Blut läuft aus Nancys Nase. Es tropft Miriam auf die Hand. Plitsch, plitsch, plitsch . Miriam hat die vage Hoffnung, dass das Blut den eisernen Griff der Frau schmieren und sie befreien wird. Doch sie hat kein Glück.
Nancy beginnt zu stöhnen. Ihr Kopf kullert und dreht sich.
Unter dem Tisch fängt der Beagle an zu bellen.
»Du lieber Himmel!«, sagt Miriam, die jetzt echt Angst bekommt. Ist es wegen ihr? Hat die Frau gerade irgendein zufälliges Aneurysma? Sie legt die freie Hand an die Tischkante und drückt fest. Der Tisch knallt der Frau in die Bauchgegend, und sie schnappt nach Luft.
Die Finger der Frau strecken sich. Miriam reißt die Hand zurück. Die Haut ist rot, und sie kann schon sehen, wie sich die Blutergüsse bilden.
Nancy sieht scheiße aus. Schweiß rinnt ihr in Strömen von der Stirn. Sie leckt sich über die Lippen und nimmt ein kleines Taschentuch heraus, um das Blut aufzutupfen. Ihre Augen sind jetzt
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