Blackbirds
der Molester.«
»Du bist echt schräg drauf.«
»Gewöhn dich dran, großer Kumpel. So bin ich, ich versprühe ständig Weisheiten.«
Sie greift über den Tisch und küsst ihn. Sie haben das Tier mit zwei Rücken noch nicht gemacht, nein – aber die Küsse. Sie hat geküsst. Das sieht ihr gar nicht ähnlich. Normalerweise mag sie es nicht, die Männer zu küssen, die sie auf der Straße kennenlernt. Sie schieben ihr schneckenartige Zungen in den Mund, und Miriams einziger Wunsch ist, die verdammten Dinger an den Wurzeln abzubeißen.
»Deine Weisheit schmeckt süß.«
»Ich habe eine Eins plus mit Stern in menschlicher Anatomie und Sexualität.«
Als sie sich von ihm löst, schaut Miriam aus dem Fenster. Auf der anderen Straßenseite ist ein Pick-up geparkt. Harmlos, nichts daran pingt ihren Radar an – doch dann kommt der Fahrer zu seinem Pick-up zurück und fährt davon.
Und hinter dem Laster ... Miriam sieht Neon im Fenster leuchten.
Wahrsagen. Handlesen. Kartenlegen.
Louis blättert ein paar Scheine samt einem großzügigen Trinkgeld auf den Tisch – aber Miriam gafft bloß. Sie denkt schon seit Langem darüber nach, das zu tun, aber bisher hatte sie nie den Mumm dazu.
»Warte hier!«, sagt sie und steht auf.
»Damentoilette?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nee. Hellseherin gegenüber. Ich wollte es schon immer mal probieren.«
»Ich komme mit.«
»Nein – du bleibst hier. Das ist ... privat.«
Sie kann sehen, wie er sie mit den Augen abtastet, während er versucht, sich einen Reim darauf zu machen. Er hat immer wieder am Miriam-Puzzle gearbeitet, auf die gleiche Weise, wie einer vielleicht immer wieder hingeht und sich so ein Magic-Eye-Bild betrachtet, um zu sehen, ob das Motiv sich endlich auflösen und offenbaren wird. Wie üblich gibt er auf. Keine Delfine oder Segelboote sind im Chaos und im Lärm zu erkennen. Noch nicht.
»Na gut«, sagt er, und aus einem seiner Umschläge mit Barem (wie Ashley vermutet hat, hat Louis mehrere davon in seinem Truck versteckt – seine ›Ersparnisse‹, hat er ihr erzählt) zählt er ihr drei Zwanziger in die Hand. »Dann lass mich wenigstens dafür bezahlen.«
Miriam kann sich nicht selbst belügen. Das Geld fühlt sich an, als würde es ihr gleich die Finger wegbrennen, als wäre es durchnässt von Blut. Sie sieht darauf hinab, und für einen Moment sieht sie statt Andrew Jacksons hässlicher Fresse Louis, die Augen herausgerissen, schwarze X-e quer über die Höhlen tätowiert.
Sie sagt nichts.
Sie schenkt ihm ein schiefes Lächeln.
Dann geht sie raus.
Miriam weiß, was sie zu erwarten hat, und das hier ist es nicht.
Sie erwartet New-Age-Firlefanz und pseudo-okkulten Trara: Kristalle, purpurne Fransen, Glockenspiele, den Rauch von Räucherstäbchen, der die Augen reizt, eine fette Katze, die sich auf einem Kissen räkelt. Was sie kriegt, ist Neonbeleuchtung in einem Laden für Strickbegeisterte (Stricklieseln, denkt Miriam). Braune Regale mit Häkeldecken, Babyhüten, Garnknäueln. Und keine Katze. Stattdessen liegt ein fettbäuchiger Beagle unter einem Tisch und macht ein Nickerchen. Er sieht aus, als habe er Blähungen.
Und die Frau, die an diesem Tisch sitzt, ist weniger ›Zigeunerbetrügerin‹, eher ›Notarin‹. Verdammt, sie sieht aus wie die Vorsitzende eines Kirchenkaffeekränzchens. Taubenblaue Strickjacke. Rote, auftoupierte Frisur. Lesebrille auf dem Nasenrücken.
»Okay, was zum Teufel soll das?«, ist das Erste, was Miriam sagt.
Die Frau wirft ihr einen komischen, trockenen Blick zu. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich ... ich dachte, ich wäre in einen Hellseher-’r’-us-Laden gegangen. ’tschuldigung.« Sie wendet sich zum Gehen.
»Ich bin die Hellseherin«, sagt die Frau. »Ich heiße Miss Nancy.«
»Miss Nancy, die strickende Hellseherin?«
»Ich stricke und häkele, ja. Eine Frau muss Geld verdienen, wie auch immer sie kann.«
Miriam zuckt die Schultern. »Das können Sie gar nicht laut genug sagen, Schwester. Soll ich mich setzen?«
»Nehmen Sie Platz. Bitte.«
Miriam tut es. Sie trommelt mit den Fingern auf dem Tisch. »Und, was nun? Was passiert? Wie viel wird dieser Beschiss mich kosten?«
»Die Gebühr beträgt vierzig Dollar, aber ich versichere Ihnen, es ist kein Beschiss.« Die Stimme der Frau ist ein bisschen kratzig. Sie raucht oder hat mal geraucht, denkt Miriam, und schon der Gedanke weckt das brennende Verlangen nach einer Zigarette in ihr – ihre Rauchpausen sind dünn gesät, seit sie mit
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