Blackbirds
am dritten Tage, soll mit Feuer verbrannt werden.«
Miriam nickt gedankenverloren. »So ist das also? Es ist echt komisch, dass du das weiß, denn wenn du es weißt, dann heißt das, dass ich es weiß und trotzdem – ich wusste es nicht. Ich habe auf keine Uhr gesehen, seit ... meiner letzten Autofahrt.«
»Könnte sein, dass das Unbewusste echt ein mächtiger kleiner Scheißer ist.«
»Scheint so.«
»Oder vielleicht bin ich etwas Größeres, Gemeineres, etwas, das nicht in dir drin ist. Vielleicht bin ich der Tod selbst. Vielleicht bin ich Abaddon, der Herr der Hölle, oder Shiva, der Weltenzerstörer. Oder vielleicht ist es so, dass ich nur ein Fadenhäufchen bin, das Atropos, die Älteste der Moiren, mit ihrer erbarmungslosen Schere aus einem Lebensfaden geschnitten hat – ein Knäuel Schicksal, das zu deinen Füßen liegt.«
»Na toll. Danke, dass mich mein eigener Traum verarscht!«
Ihre Mutter ergreift wieder das Wort. »Denn alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der Meerwunder wird gezähmt und ist gezähmt von der menschlichen Natur; aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, sie ist das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes.«
»Halt die Klappe, Mama.« Zu Louis sagt Miriam: »Das ist ihre Art, mir zu sagen, dass ich ein dreckiges Mundwerk habe.«
»Du sagst dir selbst, dass du ein dreckiges Mundwerk hast.«
»Wie auch immer.«
»Was passiert jetzt?«, will er wissen.
»Nichts, denke ich. Als ich das letzte Mal geguckt habe, hing ich von einem dreckigen Duschkopf in einer schimmeligen Hütte, die irgendwo in der ungefähren Mitte von New Jerseys sandigem Arschloch liegt, herunter. Von daher mache ich eigentlich keine Pläne.«
»Also willst du mich nicht mehr retten?«
»Nun, wenn man sich meine Chancen so ansieht ...«
»Gebt, so wird euch gegeben«, wirft ihre Mutter ein.
»Ich unterhalte mich grade, Mama.«
Doch ihre Mutter fährt fort. »Denn mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch zugemessen werden.«
»Wie ich schon sagte!«, stößt Miriam hervor und hofft damit, ihre Traummutter von der Bibelzitiererei abzuhalten. Aber die Frau ist stur. Sie ist wie ein Nierenstein, der in der Harnröhre steckt – sie geht nirgendwo hin. »Wie ich schon sagte, ich habe keine Möglichkeiten mehr. Ich hab’s satt, den Retter zu spielen und ich hab’s satt zu glauben, dass ich etwas bewirken kann.«
»Das ist schrecklich fatalistisch.«
»Fatalistisch. Das Fatum. Fatal. Ist doch echt witzig. Ist die Sprache nicht ein durchgeknalltes Miststück? Ich bin ja so blöd, dass ich diese Verbindung nie vorher gesehen habe. Fatal – eigentlich heißt das schicksalsgläubig. Das sagt einem doch was, oder? Es bedeutet, dass unser Leben nichts weiter als ein Eselskarren ist, der in hohem Bogen über eine Klippe in den Abgrund rast. Es ist jedermanns Schicksal, zu sterben, und warum sollte man versuchen, das aufzuhalten? Wir alle stürzen in die Finsternis, zusammen mit dem Esel, wiehern und iahen, und das war’s, game over . Ich sehe Leute sterben, sehe, wo ihr Schicksal endet, wie sie sterben. Und bisher konnte ich ja wohl einen Scheiß dagegen tun, oder? Es ist, als wolle ich einen Schnellzug aufhalten, indem ich einen Penny auf die Schienen lege.«
»Das funktioniert tatsächlich.«
»Das tut es nicht, also halt die Klappe. Ich bin hier die Gearschte, und das heißt, du bist es ebenfalls.«
»Er sticht mir die Augen aus.«
Eine kalte Hand greift nach Miriams Herzen. »Ich weiß.«
»Ich rufe deinen Namen, bevor ich sterbe. Ist das nicht seltsam?«
»Nein«, lügt sie.
»Ich werde sterben.«
»Jeder muss mal sterben.«
»Ich sterbe voller Schmerzen, ich werde zu Tode gefoltert.«
»Es ist, wie es ist.«
»Du hast mir das angetan. Du musst es wieder geradebiegen.«
»Das Schicksal kriegt immer, was es will.«
Ihre Mutter dreht sich zu ihr um.
Sie sieht Miriam in die Augen. Obwohl sie sitzt, breitet sie ihre Arme aus, so lang, dass sie sich durch den ganzen Raum erstrecken, so dass sie Miriam an sich ziehen kann. Die Welt verschwimmt, verzerrt sich und wird zu langen düsteren Schatten und Lichtflecken.
Ihre Mutter sagt: »Dein Auge soll sie nicht schonen; Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.«
Miriam stammelt: »Ich verstehe nicht.«
Und dann wird der Traum brutal unterbrochen.
ZWEIUNDDREISSIG
Ist Folter nicht etwas Großartiges?
Er wird von einer Faust brutal unterbrochen.
Harriets Faust. Sie landet direkt in Miriams
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