Blackhearts: Roman (German Edition)
andere Farbe hatte. Blau, violett, blond, grün, völlig egal. Schwarzdrosselschwarz. Vampirrot.
Nun ist es einfach kastanienbraun. Ihre natürliche Farbe.
An der Seite zurechtgestutzt durch die Furche der Kugel.
Auf einmal kommt es ihr so vor, als seien die Wände näher gerückt. Näher als sonst. Sie kriegt kaum noch Luft und drückt die Zigarette im Waschbecken aus.
»Scheiß drauf!«, sagt sie zu niemandem außer dem toten Vogel. Ihre Stimme zittert, klingt bleiern wie Regen auf einer Blechplatte. Feuchte Hände. Übelkeit. »Ich bin hier fertig.«
Sie geht und packt eine Tasche.
SECHS
Hier lang zum großen Abmarsch
Ein langes Stück Jersey-Highway vor Augen – Highway 72, Barnegat Road. Hitzedämpfe steigen vom grauen Schotterbelag auf, und die gelb gestrichelte Linie zwischen den Spuren sieht aus wie schmelzende Butterstückchen.
Es ist eine zweispurige Straße. Autos fahren vorbei. Auf dem Weg zur Küste. Oder kommen von der Küste. Familien in Kleinbusse gepackt. Studentenverbindungsproleten,die aus offenen Jeeps hupen, aus denen schlechte Musik dröhnt. Jemand auf einem Fahrrad, gekleidet in eng anliegendes Elastan, das lückenlos mit Firmenlogos geschmückt ist, als wäre er ein gesponserter Rennfahrer und nicht bloß eins dieser Arschlöcher mit Geltungsbedürfnis.
Verdammt, ich hätte mein Fahrrad nehmen sollen. Aber dann denkt sie, nein, das war nicht der Plan. Der Plan war, zurück auf den alten Weg zu kommen. Den normalen Weg. Den Miriam-Black-Weg.
Alles, was sie braucht, sind ihr Anhalterdaumen und ihre Fluchtstelzen.
Es war Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen. Den Anker loszuwerden, den Louis und dieses Leben ihr anhängten, und erneut ein freies Radikal zu werden, das durch die arteriellen Seitenwege der kreislaufartigen Highways der Vereinigten Staaten von Amerika rast. Wie ein krebserregender Staubpartikel.
Doch aus irgendeinem Grund streckt sie den Daumen nicht aus.
Sie geht einfach weiter.
»Ich werd’ mir irgendwo weiter vorn eine Mitfahrgelegenheit suchen«, sagt sie, wobei sie sich an niemanden wendet außer an die schwarzen Truthahngeier, die über ihr in der heißen Luft kreisen, die von der Straße aufsteigt. Bei Miriams Anblick denken sie wahrscheinlich, dass sie gleich tot umfallen wird, und dann können sie ihre Knochen abnagen.
Miriam hat nicht vor, ihnen diesen Gefallen zu tun. Hässliche Vögel. Obenrum kahl, damit sie ohne Schwierigkeiten ihre verschrumpelten, dolchartigen Köpfe in das schleimig-eklige Fleisch eines verwesenden Tiers bohren können. Du warst auch einmal ein Geier, denkt sie. Du wirst wieder einer sein.
Schweiß verklebt ihre Stirn. Läuft ihr in die Augen. Brennt.
Links und rechts: Bäume. Hauptsächlich Kiefern mit dünnen, dürren Nadeln. Sie ragen aus dem Sand, raunen manchmal im Wind. Darüber Stromleitungen wie Schnüre aus schwarzer Lakritze. Ab und zu ein Haus – eine Minivilla hier, ein Rattenloch da. Dann wieder Kiefern und deren schiefe Schatten.
Das Abendzwielicht beginnt der Schwärze der Nacht zu weichen. Sonne runter, Mond rauf. Bald sieht Miriam Pechkiefern: verkrüppelte und verdrehte Bäume, die hier im toten sandigen Erdreich wachsen und dank der gelegentlichen Waldbrände, die alles verbrennen und das Unterholz abtöten, gedeihen können. Auf dass die Kiefern weiterleben, ungebremst von ihren buschigen Mitbewerbern.
Die Pechkiefern verraten ihr, dass sie sich in den Pine Barrens befindet. Ein langes Stück Nirgendwo. Heimat der Pineys – die merkwürdigen, autarken Bewohner dieses weglosen Ödlands. Heimat auch des mythischen Jersey Devils, einem eselköpfigen, dem legendären Chupacabra ähnelnden Wesen mit Fledermausflügeln und einer Hexenmutter. Zumindest, wenn man den Geschichten glaubt.
Als die Nacht pflichtbewusst übernimmt und die Autos, die auf dieser Strecke fahren, vom Aussterben bedroht werden, denkt Miriam, sie könnte einfach von der Straße fortgehen und unter die Bäume verschwinden, dorthin wo die Pineys oder der Devil sie holen könnte.
Trotzdem geht sie weiter.
Es ist jetzt ein Jahr her, dass sie in einer kleinen Hütte hier in den Barrens gefoltert wurde.
Ihre Beine schmerzen. Ihre Zunge ist trocken. Die Fußsohlen brennen. Alte Schwielen, die wieder aufbrechen.
Sie hat eine Flasche Wasser. Sie nimmt einen Schluck. Dann noch einen. Dann ist sie alle.
Verdammt, wie viel Schlucke hab ich genommen?
Scheiße!
Am Ende denkt sie, vielleicht sei es nun an der Zeit. Zeit zu trampen. Zeit, sich zu
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