Blackhearts: Roman (German Edition)
diesem alten Leben zu bekennen –und dazu, dass sie sonst kein Bekenntnis hat. Aber sie weiß, dass die meisten dieser Autos sie bloß zur Insel zurückbringen würden. Der Gipfel der Ironie. Als versuche man, sich aus Treibsand herauszuziehen und versinke dadurch nur tiefer darin.
Trotzdem streckt sie den Daumen aus, als die dunkle Straße von Scheinwerfern erhellt wird, die sich von hinten nähern. Wer es auch ist, es ist ihr egal. Das Schicksal soll seine Rolle spielen. Eine freundliche Großmutter? Bekiffte Studententussen? Jack Torrance aus Shining ?
Doch das Schicksal hat eine andere Idee, verdreht wie die Zwergpechkiefern.
Das Rumpeln eines Motors schlägt eine allzu vertraute Saite in ihr an. Sie schaut nach hinten: Die Scheinwerfer sind groß, hell, zwei sengende Sonnen, die schnell näher kommen und die Nacht wegbrennen.
Bremsen greifen. Hydraulisches Quietschen.
Ein Teil von ihr sagt Nein, nein, nein, NEIN !
Aber zwischen jedem Nein ist ein Ja.
»Miriam?« Louis’ Stimme übertönt den Truckmotor.
Sie ist zerrissen wie Seidenpapier: Ihre Muskeln wollen wegrennen, aber ihre Knochen wollen zu ihm gehen. Das Tauziehen endet, als sie sich einfach hinsetzt. Hinabsinkt wie eine Marionette, deren Fäden man gekappt hat, mitten ins Unkraut neben dem Highway.
Irgendwann hört sie, wie die Tür sich öffnet, die Tür sich schließt. Dann steht Louis Darling vor ihr, eine massive Gestalt – tröstlich und furchteinflößend zugleich, warm und weich wie ein Bär. Aber sie weiß, dass er ihr den Kopf so leicht abdrehen könnte als sei er eine Blumenblüte.
»Na komm«, sagt er. Und er nötigt sie hoch und in den Truck.
Zu ihrer eigenen Überraschung geht sie mit.
SIEBEN
Kaffee und Zigaretten
»Ich gehe nicht zu diesem beschissenen Wohnwagen zurück!«, sagt sie, als sie auf dem Beifahrersitz sitzt. Der Truck rumpelt dahin.
Es ist nur das Führerhaus, ohne Auflieger. Alles im Inneren des Macks sieht neu aus. Weil Louis dafür Sorge trägt. Es stinkt nach Glasreiniger und Kiefernduft und, ja, es hängt auch Old Spice in der Luft.
»Okay«, antwortet er. In diesem einen Wort fühlt sich die gedehnte Südstaatenaussprache tröstlich an – der Akzent ist subtil, nicht stark wie das harte Zupfen eines Banjos. Sanft wie ein schäbiges altes Kopfkissen.
Er sieht mit seinem einen Auge zu ihr herüber. Das andere ist eine augenlose Höhle, die sich hinter einer schwarzen Augenklappe versteckt. Meine Schuld, denkt Miriam.
»Ich gehe auch nicht auf diese beschissene Insel zurück.«
»In Ordnung.«
»Überhaupt, wenn du mich auch nur vage in die Richtung der Küste Jerseys bringst, werde ich dir dein gutes Auge auch noch nehmen. Mit meinem Daumen.« Sie fährt sich mit der Hand durch die Haare, gibt einen wortlosen Tierlaut von sich.
Für eine kleine Weile fährt er einfach nur weiter. Schaut sie an, dann auf die Straße. Das alles kommt ihr nur zu bekannt vor: Er der umsichtige Wächter. Sie die verstörte Irre.
»Du bist angeschossen worden«, sagt er schließlich.
»Was? Ach so.« Sie betastet ihren Kopf. Der von der Kugel gezogene Graben ist wieder überkrustet: eine schorfige Topografie unter ihren suchenden Fingerspitzen. »Stimmt. Ja. Augenblick mal! Wer hat dir das erzählt? Wie hast du mich überhaupt gefunden?«
Die Antwort kommt ihr in den Sinn, bevor er sie laut ausspricht. »Peggy hat mich angerufen.«
Klar. Peggy. Der Fluch ihrer Existenz den ganzen Sommer über, nicht direkt eine Freundin von Louis, aber eine Bekannte. Er hat sie beim Entladen von – tja, wer weiß was – kennengelernt. Tampons und Einsiedlerkrebse , denkt sie. Peggy erzählte ihm, sie hätte eine freie Stelle, falls er jemanden wüsste. Louis erzählte Peggy, er hätte genau das richtige Mädchen für sie. Und das Elend nahm seinen Lauf.
»Du bist angeschossen worden«, sagt er noch einmal. »Geht es dir gut?«
»Prima.«
Er holt tief Luft. »Du bist angeschossen worden. Mit einer Kugel.«
»Jep, genau das bedeutet angeschossen normalerweise. Das hier zählt kaum. Letztes Jahr hat man mir in die Titte gestochen. Mir die Luft aus der Lunge gelassen wie aus einem Fahrradreifen. Das hier … ist gar nichts. Nur eine Fleischwunde. Also, wie hast du mich gefunden?«
»Hab’ den Anruf bekommen. Bin zurück zum Haus gegangen …«
»Zum Wohnwagen.«
»… und du warst weg. Genau wie deine Sachen.«
»Ich hätte überall hin sein können. Nach Norden Richtung New York. Nach Süden Richtung Atlantic
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