Blackhearts: Roman (German Edition)
Warnung.«
»Eine Warnung. Fein. Dann warne mich.«
»Du bist nicht allein.«
»Ich bin nicht allein? Was soll das denn nun schon wieder bedeuten? Ist das die Warnung?«
Leichen-Miriam lächelt. Schleim quillt aus ihren Zahnzwischenräumen. Sie macht den Mund weit auf, weiter, noch weiter, bis es nicht mehr geht – der Kiefer knackt und bricht, und dann wird ihr Mund zu einem heulenden Tunnel, und in diesem Tunnel sieht Miriam heranbrausendes Wasser, eine Gezeitenwelle aus Gift. Ein saurer Strahl wie Sodbrennen schießt ihre eigene Brust hoch und in ihren Mund. Sie schmeckt Erbrochenes und Blut und Schlamm – dann löst sich der Traum auf wie Zucker, der in heißen Kaffee geschüttet wird.
Ein Flüstern noch, während der Traum zerfällt: »Der Fluss steigt an, Miriam.«
TEIL ZWEI
DIE SCHULE DER KAPUTTEN PUPPEN
Vor einem Jahr, da schenktest du mir Hyazinthen;
Sie nannten mich das Hyazinthenmädchen.
Aber als wir heimkehrten, spät, vom Hyazinthengarten
Deine Arme voll, und dein Haar feucht, da konnt’ ich
Nicht sprechen, die Augen versagten, ich war weder
Tot noch lebendig, und wusste nichts,
Schaute ins Herz des Lichts, des Schweigens.
Das wüste Land , T. S. ELIOT
ZEHN
Störungen
»Dann ist das also nicht nur eine reine Mädchenschule«, sagt Miriam, deren Bein aus dem Truckfenster baumelt, während sie mit den Zehen unaufhörlich den Beifahrerspiegel verstellt und wieder zurückstellt. »Sondern es ist eine Schule für böse Mädchen.«
Louis grunzt. Das war in den letzten paar Tagen seine Antwort auf alles, als sie sich im Sugar Sands Motel verkrochen hatten. Dort hatten sie ihr Lager aufgeschlagen und darauf gewartet, dass Katey ihn zurückrief. Was sie auch tat. Es ist gerade Schulzeit. Und sie sei wieder in der Caldecott und freue sich darauf, Miriam kennenzulernen.
Außer dem desinteressierten Höhlenmensch-Geräusch gibt Louis nicht viel von sich.
Miriam füllt das Schweigen mit Worten.
»Hör dir das mal an«, sagt sie, das Werbematerial auf dem Schoß ausgebreitet, und liest daraus vor: »Manche Mädchen profitieren von einem NEUANFANG – Neuanfang ist übrigens mit Großbuchstaben geschrieben; wenn unnötige Großbuchstaben ins Spiel kommen, weiß man, dass etwas wichtig ist, – einem NEUANFANG fernab von Familie und Freunden. Woher weiß man, ob ein Mädchen von einem NEUANFANG auf der Caldecott-Schule profitieren wird? Okay. Zeit für die Checkliste: Trifft es auf Ihre Tochter zu, dass sie: anerkannten sozialen Normen zuwiderhandelt? Der Meinung ist, Konsequenzen gelten nicht für sie? Ohne Vorwarnung wütend und aufsässig wird? Schamlos promiskuitiv ist? Was für eine großartige Formulierung: schamlos promiskuitiv! Wenn es so schlimm wäre, wie esklingt, würde es in diesem Land schon unter Strafe stehen. Tut es aber nicht – noch nicht jedenfalls. Oder?«
Louis starrt auf die Straße vor ihnen. Ein Zyklop mit finsterem Blick.
Diesmal hat sie es zu weit getrieben. Seine Ehefrau ist ein wunder Punkt, und Miriam hat nicht bloß draufgedrückt – sie hat mit einem verfluchten Vorschlaghammer draufgehauen.
»Egal. Wie auch immer.« Sie wendet sich wieder dem Werbematerial zu. »Sie nennen hier eine Reihe von Störungen, die sie versuchen, einzudämmen – unsere freundlichen Helfer, die fleißigen Caldecott-Biber –, als da wären: Depression, manische Depression, bipolare Störung, ADHS , Angstpsychosen, oppositionelles Trotzverhalten – was auch immer zum Teufel das ist – Borderline-Persönlichkeitsstö…«
»Oppositionelles Trotzverhalten ist eine Verhaltensstörung.« Fast schreckt sie zusammen; so lange ist es her, dass Louis mehr als drei Worte zu ihr gesagt hat. »Es gehört zu den Symptomen, dass die Person nicht gut mit Autorität zurechtkommt. Sich nicht gern sagen lässt, was sie zu tun hat; wütend, nachtragend und streitsüchtig ist. Sie steckt für gewöhnlich in irgendwelchen Schwierigkeiten. Macht oft das Gegenteil von dem, was man ihr gesagt hat, einfach weil sie eben so ist.«
»Igitt!« Miriam rümpft die Nase. »Ich wette, es macht Spaß, diese Kinder um sich zu haben. Als hinge man mit einer Katze rum.«
Erst da bemerkt sie, dass Louis sie anschaut. Dass dieses eine Auge einen konzentrierten Laserstrahl zur genauen Prüfung abfeuert, der sie auseinanderschneidet und begutachtet, was übrig bleibt.
»Was?«, fragt sie.
»Nichts.« Er widmet sich wieder dem Fahren.
»Versuchst du etwa, mir etwas zu sagen?«
»Nö.«
»Ich weiß,
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