Blackhearts: Roman (German Edition)
nicht mehr so gut funktionieren. Aber funktionieren tun wir dennoch. Zwischen uns herrscht eine Anziehungskraft, Mann. Zwei Planeten, die zusammenstoßen. Ein kosmisches Stoßen. Schlüsselwort: Stoßen . Oder vielleicht ist das Schlüsselwort doch: zusammen? Keine Ahnung. Alles, was ich sagen will, ist: Ich fühle mich gut. Das hier fühlt sich gut an. Wieder mit dir auf der Straße zu sein. Das ist die Art, auf die wir funktionieren, du und ich.«
»Nicht mehr.«
Da ist er. Der Eisberg, der das Schiff zum Sinken bringt.
»Du bist sauer.«
»Bin ich nicht.«
»Dann halt enttäuscht. Wie ein Vater.«
Er sagt nichts mehr. Geht einen Schritt weiter weg und setzt sich hin. Er findet die Fernbedienung, die auf dem Tisch zwischen den beiden schiefen Betten liegt, neben einem blinkenden Radiowecker.
Miriam hat verstanden. »Du willst also, dass ich jemand bin, der ich nicht bin. Schon damals hast du erwartet, dass ich eine andere Entscheidung treffe. Dass ich sage: ›Hey, ich bin fertig mit dieser Sache. Ich will nicht wissen, wie die Leute sterben. Normale Menschen machen solchen Scheiß nicht!‹ Deshalb hast du mir vor drei Monaten nichts von dieser Lehrerin erzählt. Obwohl du wusstest, dass es mir dort auf dieser Insel elend ging. Gefangen wie eine Ratte in der Falle. Schon damals hast du gewusst, wenn du mir die Wahl lässt, werde ich immer den falschen Weg wählen. Einen Weg, den du nicht ertragen kannst, weil er dich daran erinnert, dass ich ganz und gar kein normaler Mensch bin. Ganz und gar nicht wie deine Frau.«
Louis’ Frau. Inzwischen tot. Ertrunken, bevor Miriam ihn kennenlernte.
Seine Frau zu erwähnen ist wie ein Elektroschock. Sie weiß das, und es ist nicht das erste Mal, dass sie davon Gebrauch macht. Es ist der direkteste Weg zu ihm durchzudringen. Als würde sie seine Brust mit einem Rippenspreizer aufbrechen und eine Klapperschlange in sein Herz beißen lassen.
Manchmal macht es ihn wahnsinnig. Dieses Mal schaltet er einfach nur ab.
Er schmeißt die Fernbedienung in die Tischschublade neben die Gideon-Bibel. Dann geht er ins Bad und schließt die Tür – nicht mit einem Knall, sondern mit einem sanften Klick.
ZWISCHENSPIEL
Der Traum
Sie tanzt einen russischen Kasatschok und tritt dabei immer wieder gegen die Badezimmertür. Plötzlich sickert Wasser darunter hervor – trüb und brackig wie das Fruchtwasser aus dem Schoß eines Sumpfmonsters. Es ist kalt an ihren nackten Zehen. Und es stinkt. Abgestanden. Muffig. Pilzig.
Ach so. Dies war also ein Traum. Eine Vision. Irgendwas in der Art.
Die Tür geht auf, und eine Frau kommt heraus. Die Haare kleben an ihrem blutergussblauen Gesicht. Seegras im matschig-glitschigen Haar. Sie öffnet den Mund, und ein Wasserfall aus schlammigem Abwasser ergießt sich auf ihre tote, entblößte Brust.
»Du!«, sagt Miriam.
Maden winden sich um die zerstörten grauen Nippel der Leichenfrau herum.
»Ich?«, rülpst sie und noch mehr Wasser quillt über die verwesten Lippen.
Miriam schnippt mit den Fingern. »Ja, du! Du sollst wohl Louis’ tote Frau sein, schon klar. Ich besitze … das nötige Fachwissen über Träume, um so viel zu kapieren. Aber ich weiß nicht, wie sie aussieht, deshalb bist du bloß irgendein … Gesicht, das diese Rolle spielt.«
Als Reaktion darauf verändert sich ihr Gesicht. Knochen und Haut werden flüssig und wieder zu Knochen und Haut. Von einer toten Weißen zu einer toten … Latina? Das Gesicht ist nun dunkler, grauer; tiefere Striemen sind wie Giftefeu unter der Haut eingewebt.
Dann verändert es sich wieder. Eine schwarze Frau mit schattendunklen Augen. Eine weiße Frau mit blonden Ringellocken, von Algen verklebt. Alle ertrunken.
Dann ein weiterer Wechsel.
Das Gesicht wird zu Miriams eigenem.
Die Haare gefärbt vom Flusswasser. Geplatzte Kapillaren in gelben Augen.
»Niedlich«, sagt sie. Aber es ist überhaupt nicht niedlich, und der Raum zwischen ihrem Herzen und ihrem Magen wird sauer, eine gallebittere verkrampfte Höhlung.
Ihr Kadaver-Ich sieht alt aus. Es hat Falten vom Wasser, so wie Finger, die zu lange in der Badewanne waren. Diese Knitter tragen kaum dazu bei, den Knoten in ihrem Bauch zu lockern.
»Du bist auf dem richtigen Weg«, gurrt Leichen-Miriam. »Dem Weg zum Fluss.«
»Eins kann ich dir sagen«, erzählt sie ihrem toten Selbst. »Wenn es eine Möglichkeit gibt, eine Person aufzubauen, dann dadurch, ihr im Traum als ertrunkene Tote zu erscheinen.«
»Das ist eine
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