Blackhearts: Roman (German Edition)
seiner Leiche das Mahl zubereiten lassen, das Tereus gegessen und genossen hatte.«
Herausgeschnittene Zungen.
Abgetrennte Köpfe.
»Diese Griechen wussten, wie man feiert.« Miriam nimmt einen langen Schluck von ihrem zu süßen, zu herben Cranberry-Wodka. »Das erklärt aber noch nicht die Schwalbensache.«
»Nun.« Katey schlürft noch einmal von ihrem radioaktiven Cocktail. »Tereus war natürlich nicht allzu erfreut darüber, gerade seinen ersten und besten Sohn verspeist zu haben. Männer, könnte man sagen, sind schlechte Verlierer, und Tereus war keine Ausnahme. Also jagte er den Frauen mit einem Schwert nach. Er hatte sie in die Enge getrieben und wollte sie gerade töten, als …« Ein weiterer Schluck.
Miriam macht ihr Ich-bin-hier-und-warte-ungeduldig - Gesicht.
»Die Götter erbarmten sich und verwandelten sie alle in Vögel.«
Ah! Das ist es also!
»In Ordnung. Ich kann erraten, zu welchem Philomela wurde.«
»Eine Schwalbe. Man dachte zu der Zeit, die Schwalbe sei ein stummer Vogel, ohne Lied und ohne Ruf – das stimmt natürlich nicht.« Katey starrt in die Leere des Restaurants und versucht sich ohne Zweifel zusammenzureimen, wie das alles mit einem toten Mädchen namens Lauren Martin zusammenhängt. »Aus Prokne wurde eine Nachtigall oder eine Spottdrossel, während der König sich in einen Wiedehopf verwandelte.«
»Ein Wiede was ? Jetzt denken Sie sich aber etwas aus!«
»Wiedehopf. Ich dachte auch, das hört sich seltsam an, und in manchen Versionen der Sage wird er auch zum Habicht. Der Wiedehopf ist ein … pompöser Vogel, schwarz und weiß bis auf die leuchtend orange Federkrone auf seinem Kopf. Eine Krone wie die eines Königs.«
Miriam schnaubt. »Am Ende wird der Kerl also noch zum hübschesten Vogel. Blöde Götter! Wenn ich göttliche Kräfte hätte, hätte ich ihn in einen – na ja, ich kenne nicht viele Vögel. Vielleicht in einen kleinen Wellensittich mit nur einem Flügel verwandelt, der auf dem Boden seines Käfigs in seiner eigenen Vogelkacke herumhüpft.«
»Ich weiß nicht, was ich zu dem Ganzen sagen soll.« Endlich zieht Katey den Strohhalm aus dem Cocktail und schmeißt ihn auf eine Serviette. Blue Curaçao läuft daraus. Katey nimmt das Goldfischglas in die gewölbten Hände und trinkt es leer. Danach geht ein Schauder durch sie hindurch. »Ich glaube, das habe ich gebraucht.«
»Ja«, erwidert Miriam, trocken, müde. Eine ausgeschlachtete Hülle. In ihrem Kopf fliegt ein Schwarm von Vögeln auf. Manche tragen abgetrennte Zungen. Andere tragen gemeinsam die Last von abgetrennten Köpfen in die Höhe. »Ja. Es ist Zeit, dass ich mich nun mit meinen Fluchtstelzen auf die Socken mache.«
»Wir sollten das mal wiederholen.«
»Mm.« Das unverbindlichste Grunzen, das es wohl jemals gab.
»Wo wohnen Sie?«
Miriam steht auf. Hängt sich ihre Tasche über die Schulter.
»Keine Ahnung. Bin heute Morgen wegen Nichtbezahlung aus meinem Motel geworfen worden. Ich werde etwas finden.«
»Etwas?«
»Unter einer Überführung. Vielleicht habe ich auch Glück und finde ein verlassenes Auto.«
»Sie sind obdachlos.« Die Lehrerin sagt die Wörter auf dieselbe Weise, wie man sagen würde »Sie haben Bauchspeicheldrüsenkrebs und noch neun Monate zu leben«.
»Es wäre nicht das erste Mal. Genau genommen hat sich bis zu diesem Zeitpunkt ein Drittel meines Lebens auf der Straße abgespielt. Kein nennenswertes Zuhause.« Sie zuckt die Schultern, als wollte sie den alten Spruch ihrer Mutter wiedergeben: Es ist, wie es ist.
»Wohnen Sie doch bei mir!«
Miriam schnaubt so heftig, dass sie beinahe ihren Wodka rausprustet. »Sie machen Witze!«
»Nein. Was haben Sie zu verlieren?«
»Die bessere Frage lautet, was haben Sie zu verlieren? Worauf ich antworte: Ihre Sicherheit, geistige Gesundheit, eine allgemeingültige Vorstellung von Zweisamkeit und Wohlbefinden. Gesundheit. Glück. Hoffnung.«
Mit einem traurigen Lächeln schüttelt Katey den Kopf. »Sie haben diese dunkle Wolke um sich, Miriam. Es scheint, als wollten Sie sie dort. Eine Wolke aus Fliegen oder wie ein Sturm, der über Ihnen hinwegzieht.«
»Ich bin eine Giftpille. Ich bin ein Anti-Smiley-Aufkleber, wie die auf den Giftflaschen. Ich bin nicht gut für Menschen. Wollen Sie wissen, wie ich die Welt sehe? Wie ich die Menschen sehe? Ein Haufen Bauerntrampel, die nur darauf warten, dass man mit ihnen Schlitten fährt. Und wenn ich nicht aufpasse, dann werde ich anfangen, Sie auch so zu sehen. Und ich werde
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