Blacklist - Blacklist - Blacklist
Massenhysterie. Wollen sie wirklich, dass die intimen Gedanken ihrer Kinder Nachtlektüre von FBI- und INS-Agenten werden?«
Beth geleitete uns darauf in die Schule, wo wir den Eltern bei der Diskussion über die künftige Strategie der Schulleitung zusehen konnten. Da wurde so derb und gehässig herumgeschrien wie bei einem Hockeyspiel. Ein aufgebrachter Mann kam zum Mikro und verkündete, seine Tochter sei an der Vina Fields. »Die Sicherheit meines Kindes geht vor. Ich werde nicht zulassen, dass diese Schule wegen irgendwelchem Getue um die Verfassung einen Terroristen deckt, der das Leben meiner Tochter aufs Spiel setzt.«
Andere Eltern stürzten sich auch ins Getümmel, dann trat Renee Bayard ans Mikro. Sie trug noch immer das rote Kleid, das leuchtend abstach von den grauen Anzügen im Hintergrund.
»Wir alle möchten, dass unsere Kinder in der Schule, zu Hause, auf der Straße, in der Luft sicher sind. Wenn es um die Sicherheit unserer Kinder geht, sind uns Gesetze und Bestimmungen oder allgemeine Betrachtungen einerlei. Das empfinde ich ebenso. Und genau aus diesem Grund möchte ich nicht zulassen, dass Angehörige der Staatsgewalt Einsicht in die Akten meiner Enkelin nehmen. Ich möchte nicht, dass die private Meinung meiner Enkelin, die sie in einem Essay zum Ausdruck gebracht hat, vom FBI daraufhin untersucht wird, ob sie ein Risiko für die staatliche Sicherheit darstellt. Junge Menschen denken in Extremen, das ist ihrem Wesen eigen. Wenn sie alles vorher einer Prüfung unterziehen müssten, was sie schreiben oder lesen, haben wir in Kürze eine Gesellschaft von Robotern und nicht die frei und schöpferisch denkenden jungen Menschen, die den kreativen Geist und den Mut zum Risiko haben, mit dem Amerika die führende Wirtschaftsnation der Welt wurde.«
Als aufgebrachter Protest des Mannes zu vernehmen war, der sich zuvor über das Getue um die Verfassung ereifert hatte, kam ein Umschnitt auf Beth Blacksin. »Das war Renee Bayard, Geschäftsführerin von Bayard Publishing«, sagte sie. »Ihr Mann Calvin, der sich stets für den Ersten Zusatzartikel zur Verfassung einsetzte, lieferte sich denkwürdige Wortgefechte mit dem Chicagoer Anwalt Olin Taverner, der heute im Alter von einund neunzig Jahren starb. Bleiben Sie bei uns für Chicago Talks nach den Nachrichten, wo wir über Olin Taverners Leben und seine berufliche Laufbahn sprechen werden. Renee Bayard wird über die Auseinandersetzungen zwischen ihrem Mann und Taverner im Repräsentantenhaus berichten. Beth Blacksin, live von der Vina Fields Academy an der Gold Coast von Chicago.«
Eine endlose Werbepause setzte ein; Lotty drehte den Ton ab. »Kann es sein, dass der Junge vom FBI eingesperrt wurde, ohne dass man seine Mutter oder die Schule informierte?«, fragte Max beunruhigt.
Ich verzog das Gesicht. »Morrell hat gerade eine Reportage für
Margent
geschrieben über einen pakistanischen Einwanderer, der im letzten Oktober aus seiner Wohnung in Uptown verschwunden ist. Seine Familie hat verzweifelt nach ihm gesucht, aber erst nachdem er draußen in der Strafanstalt in Coolis gestorben war, hat das FBI seinen Söhnen mitgeteilt, dass sie ihren Vater wochenlang gefangen gehalten hatten. Ich habe die Ermittlungen vor Ort für Morrell übernommen: Offenbar hatte ein Nachbar am 15. September einen verdächtig wirkenden Lieferwagen mit einem großen Karton vor dem Haus gesehen und das der Polizei gemeldet. Der Karton enthielt eine neue Toilette, aber da war das FBI schon wieder abgezogen, und der INS hielt diesen kleinen Hinweis für belanglos.«
»Und dieser Junge? Können sie so auch mit einem Kind umspringen?«, fragte Lotty.
»Er ist sechzehn oder siebzehn. Wenn er tatsächlich zu einer Terrororganisation gehört, ist er alt genug, um etwas zu planen.«
»Du glaubst also, dass das FBI oder sonst wer das Recht hat, diese Schule auf den Kopf zu stellen, um ihn zu finden?«
»Das habe ich nicht gesagt. Nur, dass im Zusammenhang mit Terror schon kleinere Kinder Bomben basteln und einsetzen. Was die Rechte des FBI angeht - ich weiß nicht, wie das jetzt mit dem Patriot Act aussieht. Wenn er ein illegaler Einwanderer ist, hat er nach dem neuen Gesetz keinerlei Rechte, doch ob das auch für den Ort gilt, an dem er gearbeitet hat - tja, deshalb sind wahrscheinlich die Leute von First Freedoms hier. Um die Grenzen dieses Gesetzes auszutesten.«
Max und Lotty sahen sich an. Sie hatten sich in London als Kinder kennen gelernt, die aus Nazi-Deutschland
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