Blacklist - Blacklist - Blacklist
wissen.
»Keiner hat mich über die Geschichte informiert, sonst hätte ich es ihm doch nicht erlaubt«, fauchte Theresa. »Niemand im Haus erklärt mir auch nur die einfachsten Dinge, ich soll das wohl alles mit übersinnlichen Kräften erraten. Holen Sie sich doch eine Hellseherin, wenn Sie das als Schwester brauchen.«
Zu meinem Erstaunen rügte Ruth Theresa nicht wegen ihrer Bemerkung, sondern sagte nur: »Niemand hier hält irgendetwas vor Ihnen geheim, Theresa. Das alles ist auch vor meiner Zeit passiert, aber es hat so eine wichtige Rolle im Leben der Bayards gespielt, dass heute noch viel darüber gesprochen wird. Ich hatte schlichtweg angenommen, Sie hätten es von irgendjemanden erzählt bekommen.«
»Wer ist Deenie?«, fragte ich und rieb meine Schultern an den Stellen, an denen Calvin Bayard mich gepackt hatte.
»Das ist ein Kosename von Mrs. Bayard«, sagte Theresa. »Nach ihr ruft er, wenn er völlig außer sich ist. Mr. Bayard, wir machen Ihnen jetzt was Schönes, Heißes zu trinken und gehen ein bisschen spazieren. Kommen Sie. Sie schauen doch Sandy immer gerne zu, wenn sie Ihre Milch warm macht, nicht wahr? Sandy und ich passen auf Sie auf, da kann Ihnen niemand etwas zuleide tun. Das wissen Sie doch.«
19
Im Bann des Drachen
Am ganzen Körper zitternd, saß ich in meinem Wagen. Als Studentin hatte ich davon geträumt, in Calvin Bayards Armen zu liegen. Die alptraumhafte Art, auf die dieser Traum nun Wirklichkeit geworden war, verstörte mich zutiefst. Der Mann, der so heldenhaft den Walker Bushnells und Olin Taverners von Amerika entgegengetreten war, fand nun Gefallen daran, der Milch beim Kochen zuzusehen. Das war einfach zu viel. Es war nicht zum Aushalten.
Ich nahm eine Bewegung an einem der vorderen Fenster wahr. Ruth, die auf mein Verschwinden wartete. Ich griff mir eine Flasche Wasser vom Rücksitz und trank sie aus. Nicht der halbe Liter Whisky, den Philip Marlowe sich in so einer Lage genehmigt hätte, aber es half.
Langsam rollte ich die Coverdale Lane entlang. Als ich Larchmont Hall erreichte, fuhr ich durchs Tor, noch immer um Fassung bemüht. In der Dämmerung sah das weiße Gebäude mehr denn je aus wie der Schauplatz eines Schauerromans. Aber die düsteren Geschichten, die ich mir ausgedacht hatte, um zu erklären, weshalb Renee ihren Mann abschirmte, hatten sich als Unsinn erwiesen: Sie wollte einfach der Welt verheimlichen, dass er Alzheimer hatte.
Vielleicht war Calvin tatsächlich irgendwie an einen Schlüssel zu Larchmont Hall gekommen. Vielleicht ging er dort wirklich nachts hin, und Catherine begleitete ihn - und sie wollte ihn schützen und das Familiengeheimnis bewahren. Doch warum sollte es ein Geheimnis bleiben? Litt Renee zu sehr unter dem Verfall ihres Mannes und wollte nicht, dass andere Leute davon erfuhren? Oder gab es im Aufsichtsrat von Bayard Publishing Leute, die Renee nur die Geschäftsführung überließen, weil sie annahmen, dass Calvin noch im Hintergrund die Fäden zog? Es war mir ein Rätsel.
Ich stieg aus und wanderte die Zufahrt entlang zum Teich. Allzu viel konnte ich im Zwielicht nicht erkennen, aber die Leute vom Sheriff hatten den Ort hier nicht wie einen Tatort behandelt. Nirgendwo Absperrband oder Spuren von Untersuchungen. Nur das umgeknickte Gras an der Stelle, zu der ich Marcus Whitby geschleift hatte, wiesen darauf hin, dass sich jemand hier aufgehalten hatte.
Ich blickte angewidert auf das Wasser. Der tote Karpfen fing an aufzuquellen. Ich würde am nächsten Tag mit einem Taucheranzug wiederkommen und den Boden absuchen, für den Fall, dass Whitby seine Schlüssel oder andere Sachen dort verloren hatte, aber Spaß machen würde das nicht.
Ich stieg wieder ins Auto und fuhr die Coverdale entlang bis zur Dirksen. Erst als ich merkte, dass ich aus der Ferne auf Geraldine Grahams rosa Apartmenthaus starrte, wurde mir bewusst, dass ich von der Mautstraße abgebogen war. Darraugh hatte mich angewiesen, den Auftrag zu beenden, und das tat ich auch. Aber es wäre doch unhöflich, sich nicht von seiner Mutter zu verabschieden.
Der Wachmann am Anodyne Park ließ mich ein, und diesmal öffnete das Hausmädchen, das Ms. Graham von Larchmont Hall mitgebracht hatte, die Tür. Die Frau nahm mir die Jacke ab und bat mich, im Flur zu warten, während sie »Madam« Bescheid sagte. Eindeutig ein Abstieg von meinem Warteraum bei den Bayards - nicht mal ein Stuhl, geschweige denn ein Ausblick auf Wald und Wiesen. Ein Gemälde hing allerdings an der
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