Blackmail: Thriller (German Edition)
flüchtigen Betrachters verbergen wollte. Ich versuche einen der Ordner zu öffnen und werde augenblicklich nach einem Passwort gefragt. Ein weiterer Ordner liefert das gleiche Ergebnis. Verzweifelt suche ich nach irgendeinem Hinweis auf Markos Psyche, als mein Blick auf den Boden und auf einige Schubladen fällt, die aus dem Computertisch gerissen wurden. Zwischen diesen Schubladen, inmitten gesprungener CDs und dvds, liegt eine usb Flashkarte ähnlich denen, die ich in Kates Schuhschachtel gefunden habe. Diese hier ist von Sony, ungefähr anderthalb Zentimeter breit und siebeneinhalb lang.
Während die Sirenen draußen verhallen und Stille einkehrt, schiebe ich die Karte in den usb-Port und kopiere den Inhalt der ehemals versteckten Ordner darauf. Dann nehme ich die Karte wieder heraus, schiebe sie mir in die Innenseite meines Schuhs und eile die Treppe hinunter zur Einfahrt.
»Halt!«, brüllt eine Männerstimme. »Polizei! Stehen bleiben und Hände hoch!«
Ich kann das Gesicht des Beamten in der Einfahrt nicht erkennen, weil ein Flutlicht an der Seite des Hauses ihn von hinten anstrahlt. Doch ich sehe die Waffe in seinen nach vorn gestreckten Händen.
»Ich bin Penn Cage!«, rufe ich. »Ich habe den Notruf getätigt!«
»Weisen Sie sich aus. Aber machen Sie keine hastigen Bewegungen!«
Ich gehorche, während ich im ruhigsten Tonfall, den ich zustande bringe, auf den Beamten einrede. »Die Leichen sind hinten im Wintergarten. Paul und Janet Wilson. Sie haben einen Austauschschüler bei sich aufgenommen, doch er ist nicht da. Der Junge hat mit Drogenhandel zu tun, und der Killer hat sein Apartment auseinandergenommen.«
Der Beamte nähert sich vorsichtig und überprüft meinen Ausweis; dann folgt er mir nach hinten zum Wintergarten. Er ist vom Natchez PD und kein Sheriff’s Deputy, worüber ich froh bin. Während er den Tatort in Augenschein nimmt, treffen zwei Sanitäter mit einer Trage ein, gefolgt von weiteren uniformierten Cops und einem Detective in Zivil namens John Ruffin. Ich habe mich in den vergangenen Jahren fünf- oder sechsmal mit Ruffin unterhalten, doch niemals beruflich. Normalerweise sehe ich ihn auf dem Spielfeld. Er hat genau wie ich eine Tochter, die Softball spielt.
»Das ist eine Sauerei, was?«, sagt er mit leiser Stimme.
»Ich kann es kaum glauben, John. Nach allem, was bisher schon passiert ist.«
Ruffin nickt und führt mich von den Streifenbeamten weg,um mich zu befragen. Ich antworte so umfassend, wie ich kann, doch der Schock, drei Mordopfer an einem einzigen Tag zu sehen, fordert seinen Tribut; ich kann mich kaum konzentrieren. Die Kapriolen des Schicksals und der unwahrscheinliche Zufall werden mir erst nach und nach bewusst. Paul und Janet Wilson müssen Sekunden nach unserem Telefongespräch angegriffen worden sein. Wäre ich nicht an den Straßenrand gefahren, um einen besseren Empfang für mein Gespräch mit Mia zu haben, wäre das Ehepaar vielleicht noch am Leben. Oder ich läge tot neben ihnen …
Während Ruffin mir Fragen über die jüngste Vergangenheit stellt, steigt in mir die Erinnerung an eine länger zurückliegende Begebenheit auf. Genau hier, auf dem Espero Drive, hat sich der erste Mord ereignet, mit dem ich persönlich in Berührung gekommen bin. Eine geschiedene junge Lehrerin wurde eines Nachts brutal vergewaltigt und ermordet, während ihre Töchter im Alter von vier und sieben Jahren im Haus schliefen. Der Mörder war kein perverser Fremder, der zufällig durch Natchez gekommen war, sondern ein fünfzehnjähriger Junge, mit dem ich oft gespielt hatte. Ich war damals siebzehn, und obwohl ich wusste, was Vergewaltigung und Mord bedeuten, hatte ich nie zuvor gehört, dass häufig beides zusammen vorkam – auf eine Weise, die mir später vertraut werden sollte, als Serienmord zu einer amerikanischen Geißel wurde. Doch am tiefsten schockierte mich, dass sich ein solches Verbrechen in unserem kleinen, friedlichen Universum hatte ereignen können. Selbst heute noch, sechsundzwanzig Jahre und unendlich viele zerplatzte Illusionen später, erscheint mir der Anblick von Paul und Janet Wilson, die in ihrem eigenen Heim niedergestochen wurden, mehr wie eine gestellte Szene für einen Fernsehkrimi als die Wirklichkeit. Während ich bei Detective Ruffin meine Aussage mache, rechne ich jede Sekunde damit, dass Paul und Janet aufstehen, das falsche Blut von ihren Sachen wischen und laut loslachen. Doch sie liegen einfach nur da wie Spielverderber und sind
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