Blackmail: Thriller (German Edition)
sagt Ruffin vorsichtig und packt mich von hinten an der Schulter. »Beruhigen Sie sich. Der Anblick der Leichen hat Sie aufgewühlt. Aber seien Sie nicht dumm.«
Ich weiß, dass Ruffin recht hat, doch unter dem Blick von Wilsons toten Augen bin ich nicht imstande, meine Wut zu zügeln. »Sie glauben, ich bin aufgewühlt?« Ich mache einen Schritt auf Deputy Burns zu. »Ich war fünfzehn Jahre lang Staatsanwalt in Houston! Ich habe mehr Mordopfer gesehen, als Sie in Ihrer ganzen Laufbahn sehen werden! Ich habe zwölf Männer in die Todeszelle geschickt! Sie wollen mich verhaften? Nur zu, Deputy! Aber machen Sie sich darauf gefasst, dass es Ihre letzte Festnahme ist!«
Das Gesicht des Deputys hat jegliche Farbe verloren, dennoch zückt er die Handschellen. Er will sie mir soeben anlegen, als Sheriff Billy Byrd erscheint.
»Immer hübsch langsam, Tommyboy«, sagt er, und er hört sich an wie eine schlechte Imitation von John Wayne.
»Sheriff Byrd …«, stammelt Burns, »dieses … dieses Arschloch von Rechtsverdreher hier …«
»Ich habe gehört, was er gesagt hat«, unterbricht Byrd seinen Deputy. »Lassen Sie ihn in Ruhe, ja?« Byrds Blick fällt auf Detective Ruffin. »Haben Sie eine Aussage von Mr Cage aufgenommen, John?«
Der Detective nickt misstrauisch.
»Okay.« Byrd sieht mich wieder an. »Dann können Sie jetzt gehen.«
Ich will ihn wegen des Zuständigkeitsstreits zur Rede stellen, doch dann fällt mir siedend heiß die Flashkarte ein, die ich in meinem Schuh versteckt habe. Mit einem letzten Blick auf Paul und Janet Wilson verlasse ich das Haus durch die Tür, die niemand geöffnet hat, als ich hier angekommen bin, und gehe zu meinem an der Straße geparkten Saab.
Ich schließe mich im Wageninnern ein und lasse den Motor an, fahre aber noch nicht los. Meine Hände sind kalt und zittern, und meine Brust fühlt sich an wie zugeschnürt. »Was geht hier vor?«, frage ich laut.
Eines weiß ich mit Sicherheit: Die Morde an Paul und Janet Wilson werden diese Stadt auf eine Weise erschüttern, wie der Angriff auf das Versteck von Cyrus White es niemals vermocht hätte. Vielleicht sogar noch stärker als der Mord an Kate Townsend.
Der Grund dafür ist einfach.
Wenn Drogendealer umgebracht werden – ob Schwarze oder Weiße –, geht die öffentliche Meinung größtenteils dahin, dass die Typen bekommen hatten, was sie verdienten. Wenn ein junges Mädchen vergewaltigt und ermordet wird – schwarz oder weiß –, beherrscht unser Wissen um die primitiven Gesetze von Anziehungskraft und männlicher sexueller Dominanz unsere Reaktion. Aber wenn ein weißes Ehepaar mittleren Alters, das sich immer nur um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert hat, in seinem Haus im sichersten Viertel der Stadt abgeschlachtet wird, ist die fundamentale Ordnung der Dinge im Süden aus dem Gleichgewicht geraten. Und die Auswirkungen einer derart ernsten Anomalie sind unweigerlich übel. Bis morgen Mittag spätestens werden sämtliche Ressourcen aller Polizei- und Justizbehörden in einem Ausmaß aktiviert sein, wie es nur als Reaktion auf eine Entführung oder den Mord an einem Polizisten noch übertroffen wird. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird eine Spezialeinheit aus sämtlichenzuständigen Behörden gebildet. Die Drogenfahndung und das fbi werden ein Teil davon sein.
Doch während ich auf dem Espero Drive in meinem Wagen sitze und mir das alles durch den Kopf geht, und während ich immer noch die Bilder von Janet und Paul Wilson vor Augen habe, kommt mir eine Frage in den Sinn.
Wo wollen all diese Behörden den Hebel ansetzen?
Denn obwohl ich von Anfang an in diese abscheuliche Geschichte hineingezogen worden bin, habe ich absolut keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hat.
24
D ad, ich bin’s, Penn. Bist du noch auf?«
»Du kennst mich doch«, sagt mein Vater mit seiner tiefen Stimme. »Ich diktiere meine Krankenbefunde und rauche eine Zigarre.«
Vor dreißig Jahren hat Dad genau das Gleiche getan, während ich versucht habe, wach zu bleiben, um mir den Spätfilm anzuschauen, damals, im dunklen Zeitalter vor dem Kabelfernsehen. Ewig im Verzug mit seinen Krankenbefunden diktierte Dad bis spät in die Nacht seine Berichte, um sich anschließend mit drei Stunden Lesen über den Bürgerkrieg oder die Geschichte der Kreuzzüge zu belohnen.
»Wie ich höre, war die Notaufnahme heute Nacht ziemlich beschäftigt«, sagt er mit zurückhaltender Neugier.
»Ja.«
»Was gibt’s, mein
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