Blackout
unentbehrlich vorzukommen.
»Guten Morgen, Alex.«
Ihre Fingernägel waren lang und dick mit perlmuttfarbenem Nagellack bemalt- als ob sie um ihrer Eitelkeit willen die Tiefen des Ozeans beraubt hätte. Ich nahm die Hand und berührte sie mit der Sorgfalt, die dafür angebracht erschien. »Wie schön, dich wiederzusehen. Es ist lange her.«
»Das kann man sagen.«
»Kommst du zu uns zurück? Ich habe gehört, du hättest dich eine Weile zurückgezogen.«
»Nein, ich komme nicht, und ja, ich habe mich zurückgezogen. «
»Genießt du die Freiheit?« Sie gönnte mir noch ein Lächeln. Ihr Haar sah blonder und kräftiger aus, ihre Figur war voller, aber immer noch erstklassig, und sie hatte sie in ein chartreusegrünes Strickkleid gezwängt, das jede Frau mit nicht ganz so heroischen Proportionen das Fürchten gelehrt hätte. »Ich genieße sie. Und du?«
»Immer das gleiche«, seufzte sie. »Aber du tust es sicher gut.«
Einen Augenblick lang dachte ich, die Schmeichelei sei ein Fehler gewesen. Ihr Gesicht verhärtete sich und zeigte ein paar neue Fältchen.
»Wir wissen doch«, fuhr ich fort, »wer hier in Wirklichkeit alles zusammenhält.«
»Ach, hör schon auf.« Sie wedelte mit der Hand durch die Luft.
»Bestimmt nicht die Doktores.« Ich widerstand der Versuchung, sie ›alter Kumpel‹ zu nennen.
»Wie wahr, wie wahr. Wirklich erstaunlich, was manchen trotz zwanzig Jahren der Ausbildung auf dem Gebiet der praktischen Vernunft versagt bleibt. Ich bin nichts weiter als ein Lohnsklave, aber ich weiß wenigstens, welches Ende gerade oben ist.«
»Ich bin sicher, du könntest für niemanden die Sklavin sein, Cora.«
»Ach, ich weiß nicht.« Wimpern, so.dicht und dunkel wie Rabenfedern, senkten sich kokett.
Sie war Anfang vierzig, und unter dem gnadenlosen Neonlicht des Büros zeigte sich ein jedes dieser Jahre. Aber sie war dennoch gut in Form, mit einem attraktiven Gesicht, eine jener Frauen, die sich die Figur der Jugend erhalten, wenn auch nicht den Inhalt. Einmal, vor Hunderten von Jahren, war sie mädchenhaft, beherzt und athletisch gewesen, als wir uns auf dem Boden des medizinischen Archivs wälzten. Für mich eine kurzzeitige Affäre, der gegenseitiger Boycott folgte. Jetzt flirtete sie wieder, ihre Erinnerungen waren gereinigt durch die lange Zeit.
»Hat man dich wenigstens anständig behandelt?« fragte ich. »So gut, wie man es erwarten kann. Du weißt ja, wie die Ärzte sind.« Ich grinste.
»Ich gehöre hier zum Mobiliar«, sagte sie. »Wenn das Büro einmal umzieht, werden sie mich mit den Möbeln in das neue transportieren.«
Sie lachte nervös und berührte befangen ihr Haar.
»Danke.« Selbstkritik war auf die Dauer unangenehm; lieber ließ sie mich ins Rampenlicht treten.
»Was bringt dich hierher?
»Ich bin dabei, ein paar lose Enden zusammenzuführen - ein paar nicht fertiggeschriebene Berichte, Papierkram. Ich habe lange Zeit meine Post nicht beantwortet. Ich dachte schon, ihr hättet mir geschrieben und fällige Personalabgaben angemahnt. «
»Ich kann mich nicht erinnern, daß ich dir eine Mahnung geschickt hätte, aber es kann ja auch eines von den anderen Mädchen gewesen sein. Ich war einen Monat lang weg. Operation.«
»Das tut mir leid, Cora. Ist alles wieder in Ordnung?«
»Frauengeschichten.« Sie lächelte. »Sie sagen, es ist wieder okay.« Ihre Miene drückte aus, daß ›sie‹ in ihren Augen notorische Lügner waren. »Das freut mich.«
Wir schauten uns in die Augen. Einen Moment lang sah sie aus wie zwanzig, unschuldig und voll großer Hoffnungen. Dann drehte sie mir den Rücken zu, als wollte sie dieses Bild in meinen Gedanken erhalten.
»Laß mich in deiner Kartei nachsehen.« Sie stand auf und zog die Schublade eines schwarzlackierten Aktenschranks auf, kam dann mit einem blauen Ordner zurück.
»Nein«, sagte sie. »Alles bezahlt. Aber in zwei Monaten bekommst du eine Benachrichtigung für nächstes Jahr.«
»Danke.«
»Nicht der Rede wert.«
Sie steckte den Ordner wieder in die Schublade. »Was ist mit einer Tasse Kaffee?« fragte ich beiläufig: Sie schaute mich an, dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Wir machen zwar erst um zehn Frühstückspause, aber zum Teufel, ich hab’ schließlich das Recht, oder?«
»Klar.«
»Laß mich nur schnell für kleine Mädchen, frischmachen.« Sie lockerte ihr Haar, nahm ihre Handtasche und verließ das Büro, um in die Damentoilette auf der anderen Seite des Korridors zu gehen.
Als ich sah,
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