Blackout
nicht stillsitzen kann und in Gedanken immer woanders ist. Er hat gesagt, daß sie überaktiv ist. Es ist etwas im Gehirn.«
»Hyperaktiv?«
»Genau. Würde mich nicht wundern. Ihr Dad war da oben ja auch nicht ganz richtig.« Sie tippte sich auf die Stirn. »Hat alle möglichen verbotenen Drogen genommen und Wein getrunken, bis er-« Sie brach ab und schaute Milo erschreckt an. »Keine Sorge, Mrs. Quinn, das interessiert uns nicht. Wir wollen nur herausfinden, wer Doktor Handler und Miß Gutierrez umgebracht hat.«
»Ja, dieser Kopfschrumpfer-« Wieder brach sie ab, und diesmal schaute sie mich an. »Ich glaube, heute sag’ ich lauter falsche Sachen.« Sie zwang sich zu einem schwachen Grinsen. Ich nickte ihr aufmunternd zu und lächelte verständnisvoll. »War ein netter Kerl, der Doktor.« Immerhin waren einige meiner besten Freunde Psychotherapeuten. »Hat oft ‘nen Scherz gemacht mit mir, und ich hab’ ihn aufgezogen und gefragt, ob er schon einen Haufen Schrumpfköpfe hat da drinnen.« Sie lachte, ein seltsames Kichern, und zeigte einen Mund voller Zähne, die sehr reparaturbedürftig waren. Ich hatte ihr Alter inzwischen näher bestimmt und schätzte sie auf Mitte dreißig. In zehn Jahren würde sie eine alte Frau sein. »Furchtbar, was mit ihm passiert ist.«
»Und mit Miß Gutierrez.«
»Ja, die auch. Aber die hab’ ich nicht so gemocht. Sie war auch mexikanisch, wissen Sie, aber hochnäsig. Wo ich herkomme, da hat man die schwere und die dreckige Arbeit gemacht, das Bücken und Saubermachen. Die dagegen hat tolle Kleider gehabt und den kleinen Sportwagen. Und sie war ja auch Lehrerin.« Es war für Bonita Quinn, die aufgewachsen war unter der Erkenntnis, daß alle Mexikaner Lasttiere waren, nicht leicht einzusehen, wenn in der großen Stadt und weit weg von den Salatfeldern einige von ihren eigenen Leuten wie ganz normale Menschen aussahen- während ihr doch wieder nichts als die Arbeit eines Lastesels geblieben war.
»Sie hat immer so getan, als war sie zu gut für einen. Wenn ich hallo zu ihr gesagt habe, dann hat sie einfach in die Ferne geschaut, als ob sie keine Zeit für unsereins hätte.« Sie nahm einen Zug aus ihrer Zigarette und lächelte verschmitzt.
»Naja, diesmal bin ich nicht reingetapst«, sagte sie. Wir schauten sie beide an.
»Keiner von euch ist ein Mexikaner. Ich bin nicht wieder ins Fettnäpfchen getreten.«
Sie war sehr mit sich zufrieden, und ich nutzte ihre gebesserte Stimmung, um noch ein paar Fragen zu stellen. »Mrs. Quinn, nimmt Ihre Tochter irgendwelche Medikamente gegen die Hyperaktivität?«
»O ja, sicher. Der Doktor hat mir Tabletten gegeben, die sie einnehmen soll.«
»Haben Sie das Rezept zufällig bei der Hand?«
»Ich hab’ das Fläschchen.« Sie stand auf und kam mit einem braunen Fläschchen zurück, das noch halbvoll mit Tabletten war.
Ich nahm es und las den Aufkleber. Ritalin. Methylphenidat-Hydrochlorid. Ein Super-Amphetamin, das Erwachsene wachmacht, Kinder dagegen in den Reaktionen verlangsamt. Eines der am häufigsten für amerikanische Kinder verschriebenen Medikamente. Ritalin macht süchtig, ist stark in der Wirkung und hat eine ganze Reihe von Nebenwirkungen, darunter Schlaflosigkeit. Was erklärte, warum Sarah Quinn um ein Uhr morgens wach in einem dunklen Zimmer saß und zum Fenster hinausschaute.
Ritalin ist ein fabelhaftes Medikament, wenn es darum geht, Kinder in Zaum zu halten. Es verstärkt die Konzentrationsfähigkeit und reduziert die Häufigkeit von Problemverhalten bei hyperaktiven Kindern - was natürlich gut klingt, außer daß die Symptome der Hyperaktivität schwer zu differenzieren sind von den Symptomen für Angst, Depression, akute Streßreaktionen oder einfach Langeweile in der Schule. Ich habe Kinder erlebt, die zu klug waren für ihre Klasse und deshalb hyperaktiv wirkten. Das galt auch für kleinere Kinder, die die Schrecken einer Ehescheidung oder ein anderes schweres Trauma durchzumachen hatten.
Ein Arzt, der seinen Beruf ernst nimmt, müßte ein Kind sehr eingehend auf seinen psychologischen und sozialen Zustand überprüfen, bevor er Ritalin oder irgendein anderes Medikament zur Verhakensveränderung verschreibt. Und natürlich gibt es viele Ärzte, die ihren Beruf ernst nehmen. Aber manche wählen den einfacheren Weg und verschreiben erst einmal ein derartiges Medikament. Es ist vielleicht keine Fahrlässigkeit, aber nicht allzu weit davon entfernt.
Ich schraubte das Fläschchen auf und schüttelte ein paar
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