Blackout
gerahmte Bild des Mount Rainier an der Wand sah aus, als ob es aus einem Kalender der Sparkasse stammte, und daneben prangten ein paar vergilbte, gerahmte Photographien. Auf den Photos waren harte, unglücklich dreinschauende Menschen zu sehen, die noch aus der Zeit des Goldrushs zu stammen schienen. »Meine Großeltern«, sagte sie.
Jenseits einer offenen Tür ein Küchenviereck, und von dort kam der Geruch nach gebratenem Schinkenspeck herüber. Auf der Theke standen eine große Packung Kartoffelchips mit Sauerrahm- und Zwiebelgeschmack und ein Sechserpack Dr. Pepper’s Limonade. »Sehr hübsch.«
»Sie sind neunzehnhunderteins hierhergekommen. Aus Oklahoma. « Es hörte sich an wie eine Entschuldigung. Dahinter war eine nicht lackierte Tür, und von dort kam das Geräusch von Gelächter und Applaus, dazu Klingeln und Schnarren. Eine Spielshow im Fernsehen. »Sie sieht da hinten fern.«
»Das ist uns gerade recht, Mrs. Quinn. Lassen wir sie ruhig dort, bis wir so weit sind, daß wir mit ihr reden.« Die Frau nickte zustimmend.
»Sie hat sonst meistens keine Zeit, die Sendungen zu sehen, die es tagsüber gibt, weil sie in der Schule ist. Jetzt will sie das natürlich alles sehen.«
»Können wir uns setzen, Ma’am?«
»O ja, ja, natürlich.« Sie schwirrte durch den Raum wie eine Eintagsfliege und zupfte an dem Handtuch, das sie sich um den Kopf gewunden hatte. Dann brachte sie einen Aschenbecher und stellte ihn auf den Tisch. Milo und »ich setzten uns auf das Sofa, und sie zerrte für sich einen röhrenförmigen Aluminiumsessel mit Kunstlederbezug aus der Küche herüber. Obwohl sie eher mager war, wurden ihre Hinterbacken beim Sitzen ziemlich breit, und der Sessel bog sich auseinander. Sie nahm ein Zigarettenpäckchen heraus, zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch ein, bis ihre Wangen ganz hohl waren. Milo wandte sich an sie.
»Wie alt ist Ihre Tochter, Mrs. Quirin?«
»Bonita. Nennen Sie mich Bonita. Das Mädchen heißt Sarah.
Sie ist im letzten Monat sieben geworden.« Das Gespräch über ihre Tochter schien sie besonders nervös zu machen. Sie sog gierig den Rauch ein und blies ihn dann langsam von sich. Ihre freie Hand ballte und lockerte sich in rascher Folge.
»Sarah ist vielleicht die einzige Zeugin für das, was hier gestern abend passiert ist.« Milo schaute mich mit angewidertem Stirnrunzeln an.
Ich wußte, was er dachte. Ein Apartmentkomplex mit siebzig bis hundert Bewohnern, und der einzige eventuelle Zeuge ein Kind!
»Ich habe Angst um sie, Detective Sturgis, wenn jemand anders es erfährt.« Bonita Quinn starrte auf den Boden, als könnte sie damit, wenn sie es nur lange genug tat, die Geheimnisse des Orients ergründen.
»Ich versichere Ihnen, Mrs. Quinn, daß es niemand erfahren wird. Doktor Delaware hat oft als Sonderberater für die Polizei gearbeitet.« Er log schamlos und geschickt. »Natürlich weiß er, wie wichtig es ist, solche Dinge geheimzuhalten. Außerdem -« er streckte die Hand aus und klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. Ich dachte, gleich geht sie durch die Decke. »- außerdem sind alle Psychologen, wenn sie mit ihren Patienten arbeiten, an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Nicht wahr, Doktor Delaware?«
»Absolut.« Wir wollten doch nicht das schwammige Thema des Rechts der Kinder auf Privatsphäre anschneiden. Bonita Quinn gab einen seltsam quiekenden Laut von sich, der nicht zu deuten war. Am ehesten erinnerte er an das Geräusch, das Laborfrösche in der Physiologischen Psychiatrie ausstießen, kurz bevor wir ihnen Nadeln in die Köpfe stachen und sie damit töteten.
»Was wird diese Hypnose mit ihr tun?«
Ich verfiel in meinen Psychologenton- die beruhigende Stimme, die mir in all den Jahren so zur zweiten Natur geworden war, daß ich sie automatisch anwandte. Ich erklärte ihr, daß die Hypnose keineswegs mit Zauber oder Magie zusammenhänge, sondern nichts weiter als eine Kombination aus scharf auf eine Sache gerichteter Konzentration und tiefer Entspannung sei, daß die Menschen sich an Ereignisse besser erinnerten, wenn sie entspannt seien, und daß die Polizei deshalb diese Methode bei Zeugen anwendete. Dann fügte ich noch hinzu, daß Kinder leichter in Hypnose zu versetzen seien als Erwachsene, weil sie weniger Hemmungen hätten und über eine beweglichere Phantasie verfügten. Daß es nicht weh tue und für die meisten Kinder sogar angenehm sei und daß man nicht in Hypnose bleiben und auch nichts gegen den eigenen Willen tun
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