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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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marineblauen Westenanzug mit dem weißen Hemd, der blutroten Krawatte und den glänzend polierten, schwarzen Kalbslederschuhen. Neben ihm wirkte Milo in seiner ausgebeulten Hose und dem schlapp herunterhängenden Sportsakko aus Tweed noch abgenutzter als sonst. »Fertig, Mann?« fragte Hardy.’ »Fertig.«
    »Dann los.«
    Als sie weg waren, legte ich eine Platte von Linda Ronstadt auf, und zur Begleitung von Poor, Poor Pitifull Me begann ich die Unterlagen durchzusehen.
    Achtzig Prozent der männlichen Patienten in den Unterlagen von Morton Handler fielen in zwei Kategorien: wohlhabende Managertypen, die von ihren Internisten wegen einer Vielzahl von streßbezogenen Symptomen überwiesen worden waren - Angina pectoris, Impotenz, Bauchschmerzen, chronische Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Hautausschläge unbekannter Ursache-, und Männer aller Altersstufen mit Depressionen. Ich sah erst letztere kurz durch und legte die übrigen 20 Prozent beiseite, um sie später gerlauer zu prüfen. Zu Beginn meiner Arbeit hatte ich nicht gewußt, was für ein Psychiater dieser Morton Handler gewesen war, doch nach mehrstündiger Durchsicht seiner Aufzeichnungen konnte ich mir ein Bild von ihm machen - und eines, das alles andere als einen mustergültigen Vertreter seines Standes darstellte. Seine Notizen über die Therapie-Sitzungen waren skizzenhaft, sorglos und so oberflächlich wie bedeutungslos. Unmöglich, bei der Durchsicht der Aufzeichnungen herauszufinden, was er denn nun in diesen zahllosen Fünfundvierzig-Minuten-Stunden getan hatte. Es gab, wenn überhaupt, nur sehr dürftige Behandlungspläne und Prognosen, magere Berichte über die Belastungen, denen der Patient ausgesetzt war- alles Dinge, die man medizinisch oder psychologisch als relevant ansehen mußte. Die Schlampigkeit war am größten bei den Notizen, die er in den letzten fünf oder sechs Jahren seines Lebens gemacht hatte.
    Seine finanziellen Aufzeichnungen dagegen waren sorgfältig und sehr detailliert. Seine Honorare waren hoch, die Mahnbriefe an zahlungsunwillige Patienten hart und gnadenlos. In den letzten fünf Jahren hatte er weniger geredet und mehr verschrieben, doch insgesamt waren seine medikamentösen Behandlungen nicht ungewöhnlich. Im Gegensatz zu Towle kam er mir nicht wie ein Pusher vor. Aber er war andererseits auch nicht unbedingt ein glänzender Therapeut. Was mich wirklich ärgerte, war seine Tendenz, wiederum stärker verbreitet in den letzten Jahren, in die Berichte über die Patienten hämische Kommentare einzufügen. Das waren nicht einmal in den üblichen medizinischen Jargon eingebettete, sarkastische Schmähungen seiner Patienten. ›Mal jammert er, mal grinst er blöd‹, lautete die Beschreibung eines alten Mannes mit Verhaltensstörungen. ›Kann keinen konstruktiven Gedanken fassen‹, hieß es bei einem anderen. ›Will Therapie als Tarnung eines langweiligen, bedeutungslosen Lebens.‹ Und so weiter.
    Gegen Nachmittag war meine psychologische Autopsie von Morton Handler komplett. Er war ein Ausgebrannter, einer aus der Legion von Arbeitsameisen, die ihren Beruf schließlich hassen gelernt hatten. Früher hatte er ihn vielleicht gemocht- die frühen Unterlagen waren ordentlich geführt, wenn auch nicht gerade inspiriert -, aber in den letzten Jahren schien er ihn gehaßt zu haben. Immerhin hatte er ihn fortgeführt, Tag für Tag, Sitzung für Sitzung, denn er war andererseits auch nicht bereit gewesen, auf das sechsstellige Jahreseinkommen und zugleich auf die Requisiten der Wohlhabenheit zu verzichten.
    Ich fragte mich, wie er sich die Zeit vertrieben hatte, während seine Patienten ihr inneres Chaos vor ihm ausbreiteten. Hatte er sich Tagträumen hingegeben? Sich mit Phantasien - sexuellen, finanziellen, sadistischen?- beschäftigt? Die Speisefolge des Dinners überlegt? Sich im Kopfrechnen geübt? Schäfchen gezählt?
    Was es auch war, er hatte keinesfalls den menschlichen Wesen zugehört, die da vor ihm saßen und glaubten, daß er sich um sie sorgte.
    Vielleicht hatte eines der Opfer dieser unverschämten Prosa den Schwindel durchschaut und ihn ermordet? Aber man konnte sich kaum vorstellen, daß jemand von Handlers Patienten ein solches Schlachtfest mit ihm und seiner Freundin veranstaltet hätte, nur um diese Schmach zu sühnen. Allerdings- man konnte nie wissen. Der Zorn war eine schwer faßbare Regung des Gemüts; machmal schlummerte er jahrelang und wurde durch ein höchst triviales Ereignis neu stimuliert. Es waren

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