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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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diagnostiziert. Natürlich war den Diagnosen nicht ganz zu trauen, da ich mich auf seine Beurteilung ohnehin nicht verlassen wollte. Aber immerhin waren diese Unterlagen es wert, genauer durchgesehen zu werden.
    Es handelte sich um Personen im Alter zwischen sechzehn und zweiunddreißig Jahren. Die meisten waren ihm von verschiedenen Behörden überwiesen worden: von der Bewährungsstelle, vom Jugendamt, von den Kirchen. Einige waren schon mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Mindestens drei wurden als gewalttätig beurteilt. Von ihnen hatte einer seinen Vater verprügelt, ein zweiter einen Kommilitonen mit dem Messer verletzt, während der dritte versucht hatte, jemanden, den er nicht leiden konnte, mit dem Auto zu überfahren. Also eine Ansammlung reizender Zeitgenossen. Keiner von ihnen war längere Zeit einer Therapie unterzogen worden, was mich nicht wunderte. Die Psychotherapie hat denjenigen, die kein Gewissen und keine Moralbegriffe kennen und die obendrein auch nicht die Absicht zeigen, sich ändern zu wollen, wenig anzubieten. Ja, der Psychopath ist seiner Natur nach eine Beleidigung der modernen Psychologie mit ihrem gleichmacherischen und optimistischen philosophischen Unterbau.
    Therapeuten werden Therapeuten, weil sie tief im Inneren fühlen, daß die Menschen in Wirklichkeit alle gut sind und die Fähigkeit in sich tragen, sich zu bessern. Die Feststellung, daß es Individuen gibt, die einfach unverbesserlich schlecht sind - eben »schlechte Menschen‹-, und daß diese Schlechtigkeit nicht erklärt werden kann durch irgendeine bekannte Kombination von Natur und Erziehung, beleidigt das Gefühl eines jeden Therapeuten. Der Psychopath ist für den Psychologen und den Psychiater das, was der aussichtslose Krebsfall für den Arzt ist: die wandelnde, atmende Verkörperung der Hoffnungslosigkeit und des Versagens.
    Ich wußte, daß es solche schlechten Menschen gibt. Ich hatte glücklicherweise bisher nur eine kleine Zahl davon erlebt, meistens Erwachsene, aber auch Kinder. Ich erinnere mich noch gut an einen Jungen, der noch keine zwölf Jahre alt war und schon ein zynisches, hartes, grausam grinsendes Gesicht zeigte, das einem Lebenslänglichen in San Quentin gut angestanden hätte. Er hatte mir seine ›Geschäftskarte‹ in die Hand gedrückt- ein Rechteck aus schockrosa Pappe mit seinem Namen darauf und dem einzigen Wort Unternehmen. Und ein unternehmerischer junger Mann war er in der Tat gewesen. Ermuntert durch meine Versicherung, daß alles, was er mir sagte, vertraulich behandelt werden würde, hatte er mir stolz verkündet, daß er Dutzende von Fahrrädern gestohlen, eingebrochen und Mädchen im Teenageralter überfallen und vergewaltigt hatte. Er war sehr mit sich zufrieden. Die Eltern hatte er mit vier Jahren bei einem Flugzeugabsturz verloren; aufgezogen wurde er bei einer völlig verstörten Großmutter, die jedem und vor allem sich selbst versicherte, daß er tief im Inneren ein guter Junge sei. Aber er war kein guter Junge, sondern ein schlechter. Als ich ihn fragte, ob er sich an seine Mutter erinnerte, schaute er mich spöttisch an und sagte, sie hätte den Bildern nach, die er von ihr kannte, ein richtiges Arschgesicht gehabt. Das war keine defensive Pose - das war er selbst, wie er leibte und lebte.
    Je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto entmutigter wurde ich. Es war, wie wenn man eine Zwiebel schält und feststellt, daß sie nach innen zu, von Schale zu Schale, immer mehr verfault ist. Er war ein schlechter Junge, und das konnte nicht mehr geändert werden. Höchstwahrscheinlich würde es mit wachsendem Alter noch wesentlich schlimmer werden. Und ich konnte nichts dagegen tun. Nach der Statistik gab es wenig Zweifel daran, daß er eine antisoziale Laufbahn einschlagen würde. Wenn die Gesellschaft Glück hatte, blieb diese auf Betrügereien beschränkt. Wenn nicht, würde vermutlich einiges Blut vergossen werden. Die Logik sagte einem, daß er unschädlich gemacht werden sollte, eingesperrt zu unser aller Sicherheit. Aber die Demokratie sagte etwas anderes, und unter dem Strich mußte ich einräumen, daß es auch nur diese eine, die demokratische Möglichkeit gab und geben durfte. Dennoch gab es Nächte, in denen ich an diesen Elfjährigen denken mußte und mich fragte, ob ich eines Tages seinen Namen in den Zeitungen wiederfinden würde. Ich legte die neun Patientenblätter zur Seite. Milo würde noch manche Arbeit bekommen, die »genau die richtige‹ für ihn

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