Blackout

wollte. Dabei dachte ich, ihr wärt ganz gut miteinander ausgekommen. «
    »Nur zu seinen Bedingungen. Auf intellektueller Ebene waren wir alte Kameraden und Kumpel. Aber als es Schwierigkeiten gab, brauchte er einen Sündenbock. Er ist krankhaft selbstgefällig, ein Egoist. Der Doktor ist allmächtig. Der Doktor kann alles richten. Hast du gesehen, wie sie ihn bewundert hat, den verdammten, großen weißen Übervater? Die würde dem Kind noch die Pulsadern aufschlitzen, wenn er es ihr sagte.«
    »Du machst dir Sorgen wegen dem Kind, nicht wahr?«
    »Da kannst du verdammt recht haben. Du weißt doch genau, was er jetzt tun wird: Er wird es weiter unter Drogen setzen. In zwei Tagen ist es high wie ein Raumfahrer.« Milo kaute an der Unterlippe. Nach ein paar Sekunden sagte er: »Aber wir können nichts dagegen tun. Und es tut mir leid, daß ich dich da überhaupt hineingezogen habe.«
    »Vergiß es. War nicht deine Schuld.«
    »O doch, das war es. Ich war faul und habe auf ein Wunder gehofft in dieser Handler-Geschichte. Habe versucht, die gute, alte, mühsame Routine zu umgehen: Handlers Bekannte und Freunde und Kollegen befragen, die Liste der Täter mit dem munteren Messer kommen lassen und überprüfen, Handlers Patientenblätter durchsehen… Die ganze Sache war von Anfang an höchst zweifelhaft. Ein siebenjähriges Kind…«
    »Sie hätte sich als gute Zeugin erweisen können.«
    »Aber ist es jemals so leicht?« Er ließ den Motor an, nach drei Versuchen. »Tut mir leid, daß ich auch noch deine Nachtruhe gestört habe.«
    »Nicht du. Der da.«
    »Vergiß ihn, Alex. Arschlöcher sind wie Unkraut: sehr schwer loszuwerden, und wenn es wirklich einmal gelingt, wächst ein anderes an derselben Stelle. Das ist es, was ich seit acht Jahren mache: Ich gieße Unkraut-Ex aus und muß feststellen, daß das Zeug schneller wächst als ich es ausjäten und vernichten kann.«
    Es hörte sich sehr resigniert an, und er sah zehn Jahre älter aus als er war.
    Ich stieg aus dem Wagen und beugte mich durch das Fenster hinein.
    »Also dann, bis morgen.«
    »Wozu?«
    »Die Unterlagen. Wir müssen Handlers Patientenblätter durchgehen. Ich kann dir vielleicht schneller sagen als du, welche brisant sind.«
    »Das soll wohl ein Scherz sein.«
    »Nee. Ich hab’ nämlich einen sehr stark entwickelten Zeigarnik.«
    »Einen - was?«
    »Einen Zeigarnik. Die Entdeckerin war eine russische Psychologin, die dahinterkam, daß aus unvollendeten Arbeiten bei vielen Menschen starke Spannungen entstehen. Man hat es nach ihr benannt: der Zeigamik-Effekt. Wie bei den meisten Erfolgstypen ist er bei mir überentwickelt.« Er schaute mich an, als redete ich Unsinn.
    »Aha. Gut. Und dieser Zeigarnik ist für dich stark genug, daß du dich in deinem beschaulichen Leben stören läßt?«
    »Zum Teufel, es ist ja auch allmählich langweilig geworden.«
    Ich gab ihm einen Klaps auf den Rücken.
    »Wie du meinst.« Er zuckte mit den Schultern. »Grüß mir Robin.«
    »Und du grüßt mir deinen Doktor, okay?«
    »Falls er noch da ist, wenn ich zurückkomme. Diese Arbeit mitten in der Nacht ist unserer Beziehung nicht gerade förderlich.« Er rieb sich die Augenhöhlen und zog die Stirn in tiefe Falten.
    »Ich bin sicher, er gewöhnt sich daran, Milo.«
    »Ach, ja? Und warum? Kannst du mir das sagen?«
    »Wenn er verrückt genug war, sich ausgerechnet dich auszusuchen, dann ist er auch verrückt genug, bei dir zu bleiben.«
    »Das ist allerdings sehr beruhigend, mein Lieber.« Er legte den ersten Gang ein, daß das Getriebe knirschte, und fuhr davon.

9
    Bis zum Zeitpunkt seiner Ermordung hatte Morton Handler knapp fünfzehn Jahre als Psychiater praktiziert. In dieser Zeit hatte er über zweitausend Patienten beraten oder behandelt. Die Patientenblätter über alle diese Fälle waren in Aktenordnem gesammelt und zu jeweils hundertfünfzig Stück in Kartons verpackt, mit Klebeband gesichert und mit dem Siegel des Polizeidepartments von Los Angeles versehen. Milo brachte die Kartons zu mir nach Hause, unter Mitwirkung eines mageren, fast glatzköpfigen, schwarzen Kriminalbeamten namens Delano Hardy. Keuchend und schnaubend luden sie die Kartons in meinem Eßzimmer ab. Bald sah es bei mir so aus, als ob ich gerade eingezogen wäre oder ausziehen wollte.
    »Es ist nicht so schlimm, wie es dir auf den ersten Blick vorkommt«, versicherte mir Milo, »Du brauchst sie ja nicht alle durchzugehen. Stimmt’s, Del?«
    Hardy zündete sich eine Zigarette an und nickte