Blackout - Kein Entrinnen
»Ich glaube nicht, dass sie sich so stark verändert haben. Ich meine, so wie ich Mom kenne, hat sie sich inzwischen wahrscheinlich eingeredet, ich hätte geschummelt, indem ich Phillip ins Spiel gebracht habe, und sie und Dad hätten uns aus reiner Gutherzigkeit gehen lassen und nicht etwa weil es das Richtige war. Aber ein kleines Mädchen aus einem Flüchtlingslager in einer verbotenen Gefahrenzone herauszuholen? Das bringt unbezahlbare Quoten. Dass sie diese Standrechtsgeschichte bei sich am Laufen haben, ist da nur eine willkommene Dreingabe, die Dad einen Vorwand liefert, seine alten Reden über individuelle Verantwortung und Freiheit der Presse breitzutreten.«
»Dann machen sie es also wegen der Quoten.« Becks’ Mund verzog sich missbilligend. Sie trank noch einen Schluck Cola, vermutlich um nichts zu sagen, was sie später bereuen würde.
Dabei spielte es keine Rolle. Sie konnte nichts sagen, was ich nicht schon zuvor gehört hatte. Manches davon hatte ich aus Georges Mund vernommen. Anderes hatte ich selbst gesagt. »Es gibt schlimmere Beweggründe, und da sie stets im Blick der Öffentlichkeit sind, können sie Alisa nicht misshandeln, wenn sie sie zurück nach Berkeley bringen. Zwar können sie immer noch sie selber sein, aber Alisa ist älter als George und ich damals waren, als sie uns aufgenommen haben. Deshalb wird sie zurechtkommen, bis Alaric sie holen kann.«
»Darauf willst du dich verlassen?«
»Ich denke, dass wir kaum eine andere Wahl haben. Wir können nicht nach Florida. Wir würden es nie an den Straßensperren vorbei schaffen. Wir müssen zum Rest des Teams und uns neu formieren.«
»Wie weit ist es noch bis Seattle?«
»Vielleicht noch ungefähr dreißig Kilometer. Am besten, ich versuche Mahir anzurufen, sobald wir zur Stadtgrenze kommen. Wenn er abnimmt, können wir direkt zu ihm fahren und müssen die Verbindung nicht aufrechterhalten.«
»Und wenn nicht?«, fragte Becks und nahm noch einmal einen kleineren Schluck.
»Keine Ahnung. Ich entscheide das alles immer aus dem Moment heraus, weißt du.«
Du machst das ganz prima.
»Danke«, sagte ich unwillkürlich und zuckte zusammen.
Becks überging meinen Ausrutscher höflich. »Das weiß ich. Und ich beneide dich nicht um deine Anführerrolle in dieser Geschichte.«
»Hey, bisher hat es funktioniert. Was wirst du machen, wenn du den Monkey triffst? Du kannst alles Mögliche sein. Wie wird deine neue Identität aussehen?«
»Ich glaube, ich nehme Internetjournalistin.« Sie lächelte. »Soweit ich weiß, brauchen die kaum eine Ausbildung. Und nichts in der Birne. Und du?«
»Ich werde nach etwas fragen, womit ich verschwinden kann.« Ich hielt den Blick auf die Straße gerichtet. »Bald wird es zu Ende sein, Becks. Es dauert schon zu lange, als dass es noch lange weitergehen könnte. Zu viele Leute sind gestorben. Wenn ich lebend aus dieser Sache herauskomme … will ich einfach nur meine Ruhe.«
»Du willst mit George allein sein«, sagte Becks.
»Möglich.«
»Ich … Shaun, ich …« Becks hielt inne, um Luft zu holen. »Du weißt, dass ich dich liebe, oder? Als einen Freund. Früher habe ich dich vielleicht auch anders geliebt, aber das ist vorbei. Das weißt du.«
»Ja, das weiß ich.«
»Deshalb frage ich dich als Freundin und Kollegin … bist du dir sicher? Denn du klammerst dich schon jetzt nicht mehr sonderlich an die Realität. Wegzugehen, um mit den Stimmen in deinem Kopf allein zu sein …«
»Es sind nicht mehr nur Stimmen. Manchmal sehe ich sie.« Das brachte sie zum Schweigen. »Noch bis kurz bevor du aufgewacht bist, hat sie auf diesem Sitz gesessen. Wir haben uns unterhalten. Wenn ich tief genug in das Gespräch mit ihr einsteige und mich selbst vergesse, kann ich sie manchmal sogar spüren. Am Ende werde ich auf jeden Fall mit den Stimmen in meinem Kopf allein sein. Die Frage ist nur, ob ihr dabei zu Schaden kommt oder nicht. Mahir war Georgias Stellvertreter, und du bist meine Stellvertreterin. Du weißt, wie viel Scheiße ich anrichten kann, wenn ich mich weigere loszulassen. Deshalb will ich auf das Loslassen hinarbeiten. Vielleicht halte ich damit ein wenig länger durch.«
Becks seufzte. »Du bittest mich, dir dabei zu helfen, ein verrückter Eremit in den Bergen zu werden.«
»Ja, genau das.«
»Solange es dir wenigstens bewusst ist.« Sie ließ sich zusammensacken und gab dem Störsender einen leichten Schlag mit dem Handballen. »Wie funktioniert dieses verdammte Teil
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