Blackout - Kein Entrinnen
und zählte stumm. Als ich bei hundertfünfundvierzig war, ging das Licht an. Der Kontrollraum, wo immer er sein mochte, war also ungefähr zweieinhalb Gehminuten von hier entfernt. Das war gut zu wissen. Denn das bedeutete, dass es mindestens dreißig Sekunden dauern würde, wenn man von hier dorthin sprinten würde. In dreißig Sekunden kann man allerhand zustande bringen, wenn man es darauf anlegt.
Ich ging zum Bett hinüber und schlüpfte unter die Decke. Mit den Händen unterm Kopf streckte ich mich aus und starrte an die Zimmerdecke. Der EIS mischte sich also ein … und stand nicht auf der Seite des Seuchenschutzes. Das war interessant. Interessant und möglicherweise gar nicht gut.
Der EIS – Epidemic Intelligence Service – wurde 1951 aufgrund der Furcht vor biologischer Kriegsführung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg gegründet. EIS-Agenten waren für die ersten Bestrebungen verantwortlich, die Ausbreitung von Pandemien zu bekämpfen. Ohne sie wären Pocken, Polio und Malaria niemals ausgemerzt worden … und hätten sie von den Probeläufen mit Marburg-Amberlee und der Kellis-Grippe und damit auch von den Unfällen erfahren, die zum Entstehen von Kellis-Amberlee geführt hatten, wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Sie standen immer im Ruf, rücksichtslose und zielstrebige Leute zu sein, denen keine Herausforderung zu groß war. Zu schade, dass das Erwachen den meisten ihrer Projekte ein Ende gemacht hatte. Wozu braucht man so viele Krankheitsjäger in einer Welt, in der nur noch eine einzige Krankheit Schlagzeilen macht?
Doch die Organisation machte weiter. Mochte der CDC noch so sehr umstrukturiert und die Gelder noch sehr umverteilt werden, der EIS blieb bestehen. Immer wenn über Korruption innerhalb des Seuchenschutzes getuschelt wurde, war der EIS zur Stelle, zerstreute die Gerüchte und räumte auf. Die meisten Leute hielten ihn für einen Haufen Spione, die sich nicht eingestehen wollten, dass sie nicht mehr gebraucht wurden. Ich hatte stets zu diesen Leuten gehört.
Vielleicht war es Zeit, meine Meinung zu überdenken.
Gregory kam vom EIS. Der EIS war Teil der Seuchenschutzbehörde. Die Seuchenschutzbehörde hatte mich ins Leben zurückgerufen. Gregory behauptete, dass ich hier nicht sicher war. Gregory sprach mit mir persönlich, ohne Schranken oder bewaffnete Aufpasser. Dr. Thomas ließ mich gerne in dem Glauben, dass Shaun tot war. Wahrscheinlich durfte ich es mir nicht erlauben, einem der beiden zu trauen. Aber wenn ich zwischen den beiden hätte wählen müssen …
Wenn der EIS mich hier rausholen wollte, würde ich mich gern auf meine Fähigkeit verlassen, dem EIS wiederum zu entkommen. Ich ließ die Lider sinken und rollte mich auf die Seite. Es war Zeit, das Spielchen mitzuspielen und herauszufinden, was hier los war, denn wenn mich Gregory und seine Freunde hier herausholen würden, würde ich die ganze Sache auffliegen lassen.
Diesmal träumte ich nicht von Beerdigungen. Stattdessen träumte ich von mir und Shaun. Hand in Hand spazierten wir durch die leere Halle, in der die Nationalversammlung der Republikaner abgehalten wurde, und nichts trachtete uns nach dem Leben, rein gar nichts.
Das Wissen darüber, was eine Sache ist und wie sie funktioniert, hat einen Haken: Du kannst dich leicht irren. Und genauso leicht kann es ein, dass du das nicht zugeben kannst. Wir machen uns Vorurteile und klammern uns an sie. Wir wollen nicht, dass sie infrage gestellt oder geändert werden. Aus diesem Grund gibt es immer noch so viele Gebäude von vor dem Erwachen. Unsere Generation mag in ihnen nutzlose, archaische und möglicherweise lebensgefährliche Objekte sehen. Für die Menschen der älteren Generation gehören sie zu ihrem Leben, auch wenn sie zeitweilig nicht darüber verfügen können, wie über Spielzeuge, die zu hoch auf dem Schrank liegen. Sie glauben, dass sie diese Dinge irgendwann einmal wieder besitzen werden. Ich nehme an, sie wissen, dass sie sich irren. Sie können es nur nicht zugeben, und deshalb warten sie auf ihren Tod, um die Welt vollends uns zu überlassen. Denjenigen, die all diese Todesfallen abreißen werden.
Manchmal ist die Schwierigkeit mit der Wahrheit, dass du Fehlannahmen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten, die zwischen dir und ihr stehen, einreißen musst. Denn manchmal wollen wir gerade das am allerwenigsten. Und manchmal ist es das Einzige, was wir tun können .
Aus Postkarten von der Klagemauer , den unveröffentlichten Dateien von Georgia
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