Blackout - Kein Entrinnen
Kräften bleiben.
Der Käse schmeckte genau so fad, wie ich erwartet hatte. Nach dem zweiten Bissen kamen mir Zweifel, ob es sich dabei überhaupt um Käse handelte, denn dem Geschmack nach war es eher eine Mischung aus Soja und künstlichen Aromen. Ich rümpfte die Nase und aß weiter. Käse bedeutete Proteine, auch wenn er nicht aus Milch gemacht war, und Proteine waren gut. Dieser Gedanke motivierte mich, fast den ganzen Teller leer zu essen, bevor ich das Interesse daran verlor, mir das Brot schnappte und damit zum Bett ging. Wen kümmerte es, wenn ein paar Krümel auf das Laken fielen? Hier war niemand, der sich beschweren würde.
Aus irgendeinem Grund fragte ich mich, ob eine der Georgia Masons, die mir vorausgegangen waren, versucht hatte, einen der Pfleger zu verführen, als sie in die letzte Phase ihrer Gefangenschaft eingetreten war. Die Vorstellung reichte aus, damit ich unfreiwillig in schnaubendes Gelächter ausbrach. Nicht nur weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie man jemanden verführte – in meiner speziellen Lage hatte ich für Verführungskünste nie Bedarf gehabt. Sondern auch wegen der Vorstellung, wie einer dieser steifen, zugeknöpften Pfleger zu erklären versuchte, dass das Abendessen nicht mit Sex als Sättigungsbeilage serviert wird.
Verdammt, vielleicht hatte eine der früheren Georgias sich sogar an Dr. Thomas herangemacht. Das würde immerhin erklären, wieso er selbst jetzt noch jeden Körperkontakt vermied, wo wir über den Punkt, an dem man sich noch sorgen um Virenvermehrung machen musste, längst hinaus waren. Womöglich fürchtete er, ich würde mein Schlafanzughemd aufreißen und mir auf diese Weise die Freiheit erkaufen wollen.
Ich war noch immer am Kichern, als die Tür aufging und eine schlanke Blondine im Laborkittel hereintrat. »Komme ich ungelegen, Georgia?«, fragte Dr. Shaw. »Ich kann später wiederkommen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Ich sprang auf und ließ das Brot fallen. »Dr. Shaw«, sagte ich. »Ich habe Sie heute gar nicht erwartet.« Schon gar nicht hier. Oder überhaupt.
»Manchmal blüht einem eben eine Überraschung«, sagte sie. »Sind Sie fertig mit Ihrem Mittagessen? Ich entschuldige mich für die faden Zutaten, aber es war mir nicht möglich, vor der Ausgabe Ihrer Nachmittagsmahlzeit zu Ihnen zu kommen und Sie einzuweisen. Und die Vorbereitungen mussten unbedingt gleich beginnen.«
Meine Schultern verkrampften sich, und ich zwang mich, sie zu lockern. Dr. Shaw gehört zu meinen Freunden , rief ich mir ins Gedächtnis. Sie hat mir eine Pistole gegeben. Sie wird mir nicht wehtun. Es sei denn, sie war dazu gezwungen. »Vorbereitungen?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie mit einem Lächeln. Wenn sie lächelte, sah sie sexy aus. Nicht schön, sondern sexy wie die Pornobloggerinnen mit ihren Cams, die von ihrem Aussehen lebten und davon, dass man ihre Unterhosen sehen konnte. Vielleicht lächelte sie deshalb so selten. Sie sparte es sich auf, um es, wenn nötig, als Waffe einzusetzen. »Endlich habe ich eine Genehmigung für eine Tiefschlafanalyse bekommen. Sie hätten sich damit wahrscheinlich noch länger Zeit gelassen, aber Dr. Thomas hat eine Testreihe angemeldet, die Sie ab nächster Woche vollkommen in Anspruch nehmen wird. Und mit diesem Druckmittel konnte ich unsere Vorgesetzten dazu überreden, dass ich Sie bis dahin in Beschlag nehmen darf.« Sie hielt inne und wartete offenbar auf eine Reaktion von mir.
»Ähm … juhu?«
»Ja«, sagte sie mit einem begeisterten Nicken. »Und wie! Dadurch werden wir viel über Ihren Geisteszustand erfahren, Georgia. Indem ich Ihr Unterbewusstsein untersuche, kann ich Dinge entdecken, die … Nun, ich möchte Sie nicht mit Einzelheiten langweilen. Lassen Sie mich nur so viel sagen: Wir werden bestimmt beide sehr zufrieden mit meinen Ergebnissen sein. Allerdings fürchte ich, dass es Ihnen ein wenig Unannehmlichkeiten bereiten wird …« Sie ließ den Satz unvollendet und wartete schon wieder auf eine Antwort.
Diesmal reagierte ich schneller auf mein Stichwort. »Was für Unannehmlichkeiten genau?«
»Sie werden während der gesamten Dauer in meinem Labor schlafen. Mir ist bewusst, dass dies ein Eingriff in Ihre Privatsphäre ist, aber es lässt sich nicht vermeiden, wenn wir diese Ergebnisse gewinnen wollen.«
Ich musste mich beherrschen, um bei der Vorstellung, ich würde in meiner Zelle auch nur ansatzweise eine Privatsphäre besitzen, nicht loszulachen. »Ich glaube, damit komme ich
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