Blackout - Kein Entrinnen
hundertprozentig sicher war, war im Juli 2014. Ich war mir sicher, dass dies der Sommer sein würde, in dem ich endlich schwimmen lernen würde.«
»Mom …« Ich brach ab, da mir klar wurde, dass ich keine Ahnung hatte, was ich dieser Frau sagen sollte. Wir gehörten zu einer Familie, und doch waren wir einander fremd. Sie war meine Mutter und meine Lehrerin und der Mensch, den ich nie hatte zufriedenstellen können, sosehr ich es auch versuchte und den Clown spielte. Ich nahm ihr die Waffe aus der Hand. »Was wirst du ihnen erzählen?«
»Dass du gemerkt hast, dass wir die Polizei gerufen haben, und dass du abgehauen bist.« Ihre Augen waren klar und ruhig. »Vielleicht erzähle ich ihnen auch gar nichts. Die Entscheidung liegt bei dir.«
Es dauerte einen Moment, bevor ich erfasste, was sie damit sagen wollte: dass ich sie erschießen konnte. Denn sie war unbewaffnet, während ich eine Pistole hatte. Mit ballistischen Methoden würden sie mir nicht schlüssig nachweisen können, dass ich abgedrückt hatte, solange sie noch am Leben war. Ich schüttelte den Kopf. »Sag ihnen, was nötig ist, damit sie euch in Ruhe lassen, und dann finde einen Weg nach Florida. Alarics Schwester heißt Alisa Kwong. Sie ist im Flüchtlingslager von Ferry Pass. Hol sie da raus.«
»Und dann?«
Ich trat auf sie zu, beugte mich vor, um sie auf die Stirn zu küssen, so wie sie es bei mir immer getan hatte, wenn es ein gutes Bild abgab. Bis zu diesem Augenblick war mir nicht aufgefallen, dass ich inzwischen größer war als sie. »Tu das, was du bei uns nicht geschafft hast, Mom«, sagte ich. »Liebe sie. Bis Alaric sie irgendwann holen kann, schenk ihr einfach deine Liebe.«
Sie nickte. »Ich werd’s versuchen«, sagte sie. »Mehr kann ich nicht versprechen.«
»Das reicht schon.« Ich lächelte sie an, und sie lächelte zurück. Sie lächelte immer noch, als ich ihr die Pistole gegen die Schläfe rammte. Ich wollte sie nicht k. o. schlagen. Der menschliche Schädel ist dicker, als die meisten Filme einen glauben lassen, und jemanden bewusstlos zu schlagen, ohne ihn dabei zu töten, ist eine wahre Wissenschaft. Ich wollte sie lediglich überrumpeln, und das war mir auch gelungen. Mit einem Aufschrei taumelte sie zurück. Über ihrem Auge platzte die Haut auf, und es blutete. Das würde ein ordentliches Veilchen geben.
Sie griff nicht nach der Pistole. Sie schrie mich auch nicht an. Sie drückte lediglich eine Hand auf die Wunde, zeigte mit der anderen auf die Tür und sagte: »Geh. Um alles Weitere kümmern wir uns.«
Ich ging. Während ich durch die Küche stürmte, warf ich Moms Pistole in die Spüle, die bis zur Hälfte mit Spülwasser gefüllt war. Die Waffe versank im Schaum. Ich rannte weiter.
Dad und Becks waren in der Garage, deren Tor offen stand. Am Himmel dämmerte es, und über den Horizont kroch der Sonnenaufgang. »Komm«, sagte ich und winkte Becks, mir zu folgen. »Dad …«
»Der Scanner meldet sie in acht Blocks Entfernung. Miss Atherton hat den Störsender. Jetzt geht!« Er schob sich mit einer Hand die Brille zurecht, seine Schulter blutete heftig. Ich konnte nicht erkennen, wie Becks ihm die Wunde zugefügt hatte, doch Moms Werkzeugkiste barg so einige Möglichkeiten.
Als er meinen Blick sah, lächelte er. Ich erwiderte das Lächeln und ging weiter zum Wagen. Becks folgte mir im Laufschritt und hielt eine Art Kasten im Arm, in dem ich einen von Moms teuren und extrem illegalen Störsendern erkannte. Falls man uns mit dem erwischte, stand uns ein ziemlich langer Gefängnisaufenthalt bevor … vorausgesetzt, wir würden es lebend bis ins Gefängnis schaffen, was immer unwahrscheinlicher wurde. Doch Becks brach vor Adrenalin und Erschöpfung in Gelächter aus, als sie am Wagen anlangte, und ich stimmte mit ein. Sobald wir aufgeschlossen hatten, stürzten wir in den Wagen.
Ich hielt mich nicht mit Anschnallen auf, bevor ich den Motor anließ, und trat aufs Gaspedal. Becks stellte den Störsender auf das Handschuhfach und stöpselte ihn in die USB-Buchse der Stereoanlage. Ein leises weißes Rauschen erfüllte die Kabine, das in erster Linie aus psychologischen Gründen zu hören war; so wusste man, dass das Gerät lief.
Als Martinshörner die Morgenluft von Berkeley zerrissen, bogen wir um die Ecke, gaben Gas und verdufteten.
Es führt tatsächlich kein Weg zurück.
Manchmal hat das auch sein Gutes.
Manchmal versucht man es und findet heraus, dass das eigene Zuhause nicht mehr da ist … dass es aber
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