BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
noch jemand sehen kann.« Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Danke. Dass ich hierbleiben kann. Und dass du mir heute alles erzählt hast.«
»Keine Ursache.«
Er wunderte sich immer noch ein wenig, dass sie so bedenkenlos die Nacht in einem Zimmer mit einem fremden Mann verbringen wollte. Sie könnte fast meine Tochter sein, überlegte er. Und sie sah gut aus.
Manzano ging ins Bad. Er spürte die Müdigkeit und fragte sich, wie lange die Notaggregate des Hotels noch Strom und eine heiße Dusche liefern würden.
Als er zurück ins Zimmer kam, lag Shannon bereits auf ihrer Seite des Bettes unter der Decke. Sie atmete tief und gleichmäßig. Leise schaltete Manzano den Fernseher aus, legte sich hin und fiel sofort in einen traumlosen Schlaf.
Tag 4 – Dienstag
Den Haag
Schweißgebadet erwachte Shannon aus einem Albtraum. Schwer atmend orientierte sie sich. Sie war in diesem Hotelzimmer. Die Wände flackerten blau und orangefarben, wie in einer Diskothek. Neben ihr wälzte sich jemand unruhig im Bett. Natürlich, der Italiener. Shannon fragte sich, wie sie so bedenkenlos ins Bett eines Fremden steigen konnte. Ohne dass etwas zwischen ihnen war. Sie betrachtete seinen Hinterkopf, die Schultern im flackernden Dunkel. Er hatte nicht einmal eine Annäherung versucht. Vielleicht interessierte er sich nicht für Frauen. Oder sie war nicht sein Typ. Sie wusste nicht einmal, ob er ihr gefiel. Er war viel älter als sie. Sie stützte sich auf die Ellenbogen, verscheuchte die letzten Fetzen des Albtraums und fragte sich, woher das Leuchten kam. Sie stand auf, ging zum Fenster, schob die Vorhänge beiseite.
Ein Stück die Straße hinunter brannte ein Haus. Flammen schlugen aus den Fenstern und dem Dach. Dichter Qualm stieg in den Nachthimmel. Mehrere Löschzüge der Feuerwehr standen kreuz und quer auf der Straße, zwei Leitern waren ausgefahren, von denen Wasserstrahlen in das Inferno spritzten. Feuerwehrmänner liefen hektisch durcheinander, evakuierten die Bewohner der benachbarten Gebäude. Menschen in Pyjamas, mit Decken um die Schultern. Shannon tastete nach ihrer Kamera auf dem Schreibtisch und begann zu filmen.
»Wollte wohl wieder einmal jemand mit einem Lagerfeuer im Wohnzimmer heizen«, hörte sie hinter sich und zuckte zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass Manzano aufgestanden war.
»Wir haben leicht reden in unserem warmen Hotelzimmer«, erwiderte sie. »Der vierte Tag ohne Strom und Heizung beginnt. Die Leute sind verzweifelt.«
Sie zoomte näher. In einem Fenster des obersten Stocks, aus dem dichter Rauch qualmte, entdeckte sie eine Bewegung.
»Mein Gott …«
Ein Schatten winkte, klammerte sich an den Fensterrahmen, kletterte hinaus. Eine Frau in einem verrußten Pyjama, die Haare wirr im Gesicht. In der dunklen Öffnung erschien noch einer, kleiner.
»Da ist noch jemand im Haus«, stammelte sie, ohne die Kamera abzuwenden. »Ein Kind …«
»Sch …«, flüsterte Manzano.
Shannon hielt mit der Kamera darauf, verfolgte mit ihrem Blick die Lage auf der Straße. Dort brach noch mehr Hektik aus. Eine der Leitern wurde länger und drehte sich. Auch aus dem Dach des Nebenhauses drang nun Rauch. Gleichzeitig breiteten Feuerwehrleute unter dem Fenster ein Sprungtuch aus.
Oben hatte die Frau das Kind auf den Arm genommen, stand auf dem Fensterbrett, die freie Hand am Rahmen, beugte sich mit dem Kleinen so weit wie möglich aus dem Rauch.
»Sie kommen mit der Leiter nicht hin«, wisperte Manzano.
Flammen fuhren aus dem Fenster. Die Frau ließ los, schwankte, verlor das Gleichgewicht.
Nanteuil
Annette Doreuil öffnete ihre Lider und starrte ins Dunkel. Es roch anders im Schlafzimmer. Dann wurde ihr bewusst, dass sie in einem der Bed-and-Breakfast-Zimmer bei Bollards aufgewacht war. Jetzt im Winter hatten sie keine Gäste. Außer ihnen, den Doreuils, den Eltern ihrer Schwiegertochter.
Zuerst dachte Annette Doreuil, die ungewohnte Umgebung ließ sie nicht schlafen. In Paris litt sie selten unter einer gestörten Nachtruhe. Aber sie war auch nicht zum ersten Mal in Nanteuil. Es hatte zwar ein paar Jahre gedauert, bis sie François’ Eltern besucht hatten, nachdem ihre Tochter den Jurastudenten vor bald zwanzig Jahren kennengelernt hatte. Anfangs gestand sich Annette Doreuil ihre Vorurteile gegenüber dem Freund ihrer Tochter nicht einmal ein. Als Sohn eines Bauern kam er für sie eigentlich nicht infrage, obwohl seine Manieren eine gute Erziehung nahelegten. Der Junge hatte sich ausgezeichnet
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