BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
die Zähler. Außerdem wurden die Router so umkonfiguriert, dass sich der Störcode über das ganze Netz verteilen konnte. Der Angriff selbst fand dann, wie schon bekannt, in mehreren Wellen statt.«
»Eines verstehe ich nicht ganz«, sagte eine Kollegin. »Wie kommen Angreifer überhaupt an die ganzen Informationen, um in die Enel-Netze einzudringen und die Zähler zu manipulieren?«
»Für Profis ist das möglich. Seit Jahren dringen Unbekannte in praktisch jedes Netz kritischer Infrastrukturen ein. Manche meinen, es seien Hacker, andere behaupten, Staaten steckten dahinter, von den Chinesen über die Russen bis zu den Iranern oder Nordkoreanern. Um in die internen IT -Netze der Stromgesellschaften zu kommen, gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Von speziell entwickelten Webseiten, bei deren Besuch man sich einen Trojaner oder einen Wurm einfängt, über ›liegen gelassene‹ USB -Sticks, die ein Mitarbeiter findet, bis zu raffinierten E-Mails. Die Schwachstellen sind immer die Menschen. Nicht umsonst verbieten viele Behörden und Unternehmen schon länger die Verwendung derartiger Datenüberträger oder gestatten ihren Mitarbeitern nur die Benutzung einiger weniger Webseiten. Leider sind Menschen, wie sie sind, und halten sich nicht immer an das, was man ihnen vorgibt. Außerdem sollten natürlich so heikle technische Systeme auch hardwaremäßig voneinander getrennt sein. Sind sie aber in vielen Fällen nicht wirklich vollständig, weil es kaum machbar ist. So kommen sie also an die internen Daten. Und was die Stromzähler betrifft, das ist noch einfacher: Die Dinger hängen in jedem Haushalt, und man kann sie auf eBay gebraucht kaufen. Man muss sie nur auseinandernehmen, da erfährt man schon einiges.
Außerdem findet man im Internet tonnenweise Literatur und Referenzgeschichten zu den Geräten, unter anderem von den Herstellern selbst. Wenn man sich genauer damit beschäftigt, findet man schnell heraus, wie geeignet diese Kästchen für ein derartiges Vorhaben sind. Sie können nämlich Daten an die anderen funken.«
»Aber so ein Zähler wird doch nicht beliebige Daten von wildfremden Zählern annehmen. Die müssen sicher irgendeine Art der Authentisierung verlangen.«
»Tun sie, aber die haben die Angreifer vermutlich durch die Infiltrierung der internen IT -Netze und Datenbanken bei Enel abgegriffen. Mit etwas Glück haben sie die sogar im Internet gefunden. Man wundert sich immer wieder, was man da alles findet, wenn man nur weiß, wie und wo man suchen muss. Wenn sie die Authentisierung haben, ist der Rest ein Kinderspiel. Wobei wir Grund zur Annahme haben, dass die Authentisierung der italienischen Datenquellen schwach war. Die Angreifer müssen dann nur noch die verlangte Datenquelle imitieren und den jeweiligen Befehlscode einspielen.«
»Und mit solchen Systemen soll in den nächsten Jahren ganz Europa ausgerüstet werden?«
»Tja«, sagte Bollard dazu nur. Er wandte sich einer anderen Bilderreihe zu. »Damit wären wir bei den Schweden. Im Prinzip gingen die Angreifer dort nach derselben Methode vor. Auch dort wurden drei Haushalte als Infektionsherde ausgemacht. Und auch hier haben sich die Bewohner selbst bei den mittlerweile intensiven Nachforschungen als unbescholten und unverdächtig entpuppt. Die Codes wurden also wie in Italien mit hoher Wahrscheinlichkeit von jenen Männern in die Zähler gesetzt, die sich als Servicemitarbeiter der Elektrizitätsgesellschaften ausgaben und von denen wir nach wie vor nur ungefähre Personenbeschreibungen haben.«
Er stellte sich vor die Europakarte im Zentrum der Wand.
»Neben den Angriffen auf die IT -Systeme haben wir seit Neuestem noch die Nachrichten von Brandstiftung in Schaltanlagen und die Sprengung von Strommasten. Noch ist allerdings auch hinter dieser zweiten Art von Angriffen keine Systematik zu erkennen. Deshalb wird es schwierig, die Saboteure zu erwischen.«
Bollard beendete seinen Vortrag, bedankte sich und eilte in sein Büro zurück. Auf seinem Computer überprüfte er, ob es neue Meldungen aus Saint-Laurent gab. Seit dem Morgen war der Zwischenfall von der französischen Atomaufsichtsbehörde auf INES 3 hochgestuft worden. Die Bevölkerung im Umkreis von zwanzig Kilometern wurde dazu aufgefordert, in den Häusern zu bleiben. Zum wiederholten Mal wählte Bollard die Nummer seiner Eltern. Die Leitung blieb stumm.
Shannon musste auf die Gegenfahrbahn ausweichen, um die Menschentraube vor dem Gebäude zu umfahren. Erst jetzt
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