BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Notkühlsysteme von Reaktorblock 1 im Atomkraftwerk Saint-Laurent ausgefallen sind. Noch weiß niemand, wie lange das schon der Fall ist. Wir befinden uns etwa fünf Kilometer entfernt, am anderen Loireufer. Zu Schäden am Reaktorkern gibt es noch keine genauen Angaben …«
»Dieser Mistkerl hat mich jahrelang geknechtet, und jetzt hat er wieder die Top-Story!«
»Die hast gestern doch du geliefert.«
»Nichts ist so alt wie die Nachrichten von gestern.«
»… ein Schaden könnte gravierende Auswirkungen auf die Umwelt haben.«
»Wie kommt der überhaupt auf Sendung?«, wollte Manzano wissen.
»Mit dem Satellitenwagen wahrscheinlich. Da kann er die Geräte über den Motor mit Strom versorgen und die Daten direkt an den Satelliten funken. Sündhaft teuer, noch dazu jetzt, da die Satellitenkapazitäten sicher ein Vielfaches kosten.«
»… nach Berichten von Reuters müssen die Probleme den Verantwortlichen schon länger bekannt sein. Umso unverständlicher ist es, dass die Bevölkerung erst jetzt informiert wurde.«
»Die hatte genug andere Probleme«, bemerkte Manzano. »Werden sie zumindest als Entschuldigung anführen.«
Statt der Kühltürme breitete sich hinter dem Reporter explosionsartig eine Wolke aus.
»Noch gibt es allerdings …«
Sogar im Fernsehen hörte Manzano den dumpfen Knall.
»Wow, was war das?« Turner wirbelte herum, den Blick auf die wachsende Wolke gerichtet. »Es hat eine Explosion gegeben!«, rief er in sein Mikrofon. »Im Kernkraftwerk hat es soeben eine Explosion gegeben!«
»An deiner Stelle würde ich die Beine in die Hand nehmen«, murmelte Manzano.
»Eine Explosion!«
»Fällt dem nichts anderes ein?«, maulte Shannon.
»Abhauen«, bemerkte Manzano.
Doch Turner wandte sich wieder an die Kamera. Hinter ihm stieg die Wolke langsam hoch, wurde transparenter.
»Hast du das gesehen? Hast du es drauf? Verdammt! Können wir das noch einmal sehen? Studio?«
Tatsächlich spielte die Redaktion bereits eine Zeitlupenwiederholung ein, in der das Kraftwerk herangezoomt war. Trotzdem war nicht mehr zu erkennen als beim ersten Mal. Anstelle der Kühltürme breitete sich ruckartig eine weiße Wolke aus.
»Scheiße«, flüsterte Shannon.
»Na, wärst du noch immer gern dort?«, fragte Manzano.
Hinter Turner lichtete sich die Wolke allmählich, die Konturen der Kühltürme traten wieder hervor.
»Was ist da explodiert?«, fragte der Journalist rhetorisch, denn eine Antwort würde ihm sein Kameramann nicht geben können. »Meine Damen und Herren, liebe Zuschauer …«
Manzano nervte das aufgeregte Geplapper des Mannes, auch wenn er dessen Gefühle gut verstehen konnte. Er spürte selbst, wie die Anspannung seine Glieder erfasst hatte. Er erinnerte sich an die Tage nach der Katastrophe von Fukushima 2011, als er wie ein Junkie vor den Livetickern im Internet gesessen hatte, ganz zu schweigen vom 11., 12. und 13. September 2001, die er ohne Unterbrechungen vor dem Fernseher und im Internet verbracht hatte, gebannt und fassungslos angesichts der immer wiederkehrenden Bilder.
»… versuchen, Verantwortliche zu erreichen, und melden uns dann wieder«, verkündete Turner. Die Regie wechselte ins Studio zu der Sprecherin, in deren Gesicht das Entsetzen deutlich abzulesen war.
» Well, good luck, James «, sagte sie und schob dabei nervös Papiere vor sich hin und her. »Sobald es Neuigkeiten aus Frankreich gibt, schalten wir wieder zu James Turner.«
»Scheiße …«, wiederholte Shannon leise.
»Allerdings«, ergänzte Manzano. »Ich hoffe, unser Freund Bollard hat in der Gegend keine Freunde.«
Zwischen den Besprechungen konsultierte Bollard immer wieder kurz den Newsticker. Die Nachrichten wurden nicht besser.
+ Explosion erschüttert AKW Saint-Laurent +
(13:09 Uhr) Im französischen Kernkraftwerk kam es heute Mittag zu einer Explosion. Zu den Ursachen gibt es noch keine Informationen. Fachleute vermuten eine Wasserstoffexplosion im Reaktorgebäude. Ob dabei Radioaktivität freigesetzt wurde, ist noch nicht bekannt.
+ Betreiber bestätigt Verletzte in AKW Saint-Laurent +
(13:35 Uhr) Électricité de France spricht von drei Arbeitern, die durch die Explosion verletzt wurden. Sie seien dabei jedoch keiner gefährlichen Strahlung ausgesetzt worden, erklärt die Gesellschaft.
+ Reaktor nach Explosion unbeschädigt +
(14:10 Uhr) Nach der Explosion in der zentralfranzösischen Anlage Saint-Laurent seien Reaktorhülle und -kern weiterhin intakt, erklärte die
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