BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
vorgeschlagen, wäre Bollard ihm nicht zuvorgekommen. Eigenartig schien es ihm, dass der Italiener die Mail so offen verschickt hatte. Er musste damit rechnen, dass Europol ihn überwachte. Bollard musste den Direktor unterrichten. Denn wenn etwas dahintersteckte, hatten sie ihre erste ganz heiße Spur. Er fühlte, wie ihn das Jagdfieber packte.
»Wo ist der Direktor?«
»In seinem Quartier in Breitscheid.«
Er griff zum Telefon, um seinen Chef anzurufen. Es dauerte nicht lange, bis er dessen Assistenten von der Dringlichkeit des Anrufes überzeugt hatte und durchgestellt wurde. In kurzen Worten schilderte er ihm den Vorfall. Das Diktum seines Vorgesetzten hatte Bollard erwartet.
»Wir können kein Risiko mehr eingehen. Informieren Sie diesen BKA -Mann, der die Talaefer-Sache betreut, wie heißt er noch?«
»Hartlandt«, antwortete Bollard.
»Genau. Sie sollen den Italiener verhaften. Und sehen, was sie aus ihm herausbringen. Die CIA hilft ihnen sicher mit Freuden dabei.«
Warum der amerikanische Geheimdienst?
»Warum die CIA ?«
»Haben Sie die Nachrichten denn noch nicht erhalten?«
»Welche Nachrichten?«
Berlin
»Die USA ?«
Für einen langen Augenblick wirkte das Lagezentrum des Innenministeriums wie ein Schnappschuss. In ihrer jeweiligen Bewegung verharrend starrten alle auf die wenigen verbliebenen Bildschirme und den Staatssekretär. Die Uhren zeigten kurz nach vierzehn Uhr.
»Dasselbe wie bei uns?«, fragte jemand.
Rhess nickte. An sein Ohr hielt er den Telefonhörer gepresst und nickte immerzu.
Michelsens Blick sprang zwischen den Fernsehern und dem Staatssekretär hin und her.
»Wenn das wahr ist«, flüsterte sie ihrer Nachbarin zu, »sind wir endgültig im Arsch, entschuldige den Ausdruck.«
Rhess legte auf.
»Das Außenministerium bestätigt, dass weite Teile der US -Stromnetze zusammengebrochen sind.«
»Das ist kein Zufall«, sagte jemand. »Nur knapp eine Woche nach Europa.«
»Hilfe von dort können wir jetzt auch abschreiben«, stellte Michelsen fest.
»Die westliche Welt ist unter Beschuss«, konstatierte Rhess. »Das NATO -Oberkommando trifft sich in diesen Minuten zu einer Notsitzung.«
»Die glauben doch nicht, dass es die Russen oder Chinesen waren?«
»Alle Möglichkeiten müssen in Betracht gezogen werden.«
»Der Himmel steh uns bei«, flüsterte Michelsen.
Kommandozentrale
Die amerikanischen Stromnetze waren eigentlich einfacher gewesen als die europäischen, weil sie schlechter gesichert und noch enger mit dem Internet verbunden waren. Doch einige der Zero-Days hatten keinen früheren Einsatz zugelassen. Lieber hätten sie auf beiden Kontinenten gleichzeitig zugeschlagen. Aber so war es auch gut. Vielleicht sogar besser. Seit fast einer Woche rätselte die Welt, wer hinter den Anschlägen auf Europa stand. Der Ausfall in den USA würde neue Gerüchte nähren. Mit Sicherheit schalteten sich die Militärs jetzt noch intensiver ein. So ein breiter Angriff ließ einen Staat als Verursacher vermuten. Infrage kamen einige: Iran, Nordkorea, China, sogar Russland. Seit Jahren fand man Hinweise darauf, dass sie und andere die Computersysteme der kritischen Infrastrukturen des Westens infiltrierten. Jetzt hatte also einer die Ernte dieser Saat eingefahren und losgeschlagen. Aber wer? Natürlich würden alle dementieren. Es war so einfach. Niemand konnte die Spuren zu den Urhebern zurückverfolgen. Dazu waren sie im globalen Netz viel zu leicht zu verwischen. Die Theorien würden überborden. Und die Ermittler bei Polizei, Militär und Nachrichtendiensten mussten unzähligen neuen Spuren, Hinweisen, Richtungen folgen, ihre Ressourcen aufteilen, schwächen. Krieg? Terror? Kriminalität? Von allem etwas? Noch verheerender war der psychologische Effekt. Die letzte Supermacht der Welt, ohnehin angeschlagen durch die Wirtschaftskrise, hatte sich nicht verteidigen können. Gegen diese Attacke waren Pearl Harbour und die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington Insektenstiche gewesen. Bald würde auch die amerikanische Bevölkerung merken, dass sie diesmal nicht einfach ein Heer in irgendeine entfernte Weltgegend schicken konnte. Denn sie wusste nicht, wohin. Und sie würde bemerken, wie hilflos sie war. Wie hilflos ihre Regierung, ihre Mächtigen und Reichen, ihre sogenannten Eliten, ihr gesamtes System. In dem sie sich schon längst nicht mehr wohl, geschweige denn aufgehoben fühlten, aber das sie dem Unbekannten vorzogen. Sie würde begreifen, dass sie
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