BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Gesichter.
»Wir gehen davon aus«, ergriff der Bundeskanzler als Erster das Wort, »dass es sich dabei um einen kurzfristigen Zustand handelt und die Zuständigen baldmöglichst wieder ihre Funktionen übernehmen.«
»Selbstverständlich«, erwiderte der spanische General. »Sobald die Lage es erlaubt, beziehungsweise die entsprechenden Personen es wünschen, werden wir die Amtsgeschäfte umgehend wieder in die dafür vorgesehenen Hände legen. Bis dahin haben wir zur Sicherheit der Bevölkerung das Kriegsrecht ausgerufen.«
Und noch einmal unter die Hufe der Stiere, dachte Michelsen. Sie wusste nicht, ob die Europäische Union ein Prozedere für solche Ereignisse in Mitgliedsstaaten vorsah.
»Wo hält sich der Ministerpräsident auf?«, fragte der italienische Präsident, sichtbar blass. »Können wir mit ihm sprechen?«
»Das ist zurzeit leider nicht möglich«, antwortete der Spanier. »Er hat sich zurückgezogen und mich gebeten, die Nachricht mitzuteilen.«
»Richten Sie ihm bitte unsere Grüße aus«, sagte der englische Premier schmallippig. »Und dass wir uns sehr freuen würden, möglichst bald mit ihm zu sprechen.«
»Das werde ich«, entgegnete der General.
Kommandozentrale
Er war zufrieden. Der Anfang war gemacht. In einigen Ländern hatten sie Militärputschs erwartet. In anderen existierte keine solche Tradition. Dort würde die Bevölkerung die angeknacksten Strukturen hinwegfegen, früher oder später. Die Lage verschärfte sich, trieb schon jetzt immer mehr Menschen dazu, ihr Leben an den herkömmlichen Systemen vorbei zu organisieren. Oder neue zu etablieren. Die staatlich organisierten Kommunen hatten ihre Daseinsberechtigung schon vor langer Zeit selbst zerstört, neue, selbstbestimmte, lebendige würden sich bilden, mehren, teilen, vergehen und auferstehen. Auch die Militärs würden das bald zu spüren bekommen. Ihre Machtübernahme war nur ein Zwischenschritt. Diese sprachlose Gesellschaft, die keine mehr war, weil ihr die Gemeinsamkeiten abhandengekommen waren, in ihrer verzweifelten Sucht nach Betäubung durch immer mehr, durch ewiges Wachstum, war am Ende ihres Weges angelangt.
Den Haag
»Ich hatte Wichtiges zu tun«, sagte Bollard missmutig. Er hatte keine Lust, sich dafür zu rechtfertigen, dass er für seine Familie Nahrung finden musste. Wie in einem Dritte-Welt-Land bei einer Hungerkrise, dachte er. Oder in der Steinzeit. »Wenn die Verantwortlichen nicht für ausreichende Lebensmittel sorgen, müssen wir das selbst tun.«
In eine dicke Jacke gewickelt saß Bollard mit dem Europol-Direktor und dem Rest der Führungsmannschaft zusammen. Seit dem Vorabend hatte das Gebäudemanagement die Energieversorgung auf das Notwendigste reduziert. Die Wärmeversorgung war auf achtzehn Grad gedrosselt. Die meisten Fahrstühle waren vorübergehend stillgelegt. Wer seinen Arbeitsplatz noch erreichte, lief vermummt herum.
»Wir sollten für Europol-Mitarbeiter und ihre Familien eine Sonderversorgung organisieren«, regte Bollard an. »Sonst können wir unseren Aufgaben bald nicht mehr nachgehen. Die Hälfte der Belegschaft bleibt ohnehin schon weg.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Direktor Ruiz reserviert.
Keinerlei Neuigkeiten lieferten die schwedischen und italienischen Ermittler. Ihre Suche nach den falschen Mitarbeitern der Elektrizitätsgesellschaften war ohne Spur geblieben. Teilerfolge verzeichneten immerhin die IT -Einsatzteams bei den betroffenen Netzbetreibern. Einige kamen schneller voran als erwartet. Manche rechneten bereits für die kommenden drei Tage mit der Einsatzfähigkeit ihrer Anlagen.
Bei seinen eigenen Kollegen aus der IT -Abteilung hatte Bollard seit gestern dreimal vorbeigesehen. Noch hatten sie nichts gefunden – aber auch nicht viel Zeit zum Suchen gehabt. Bollard hatte mit dem Belgier gestritten, musste sich aber dessen Argumenten beugen, dass für zu wenige Leute viel zu viel Arbeit vorlag.
»Wir haben da gerade etwas von Interpol bekommen«, rief einer seiner Kollegen durch den Raum. Bollard beobachtete, wie er seinen Bildschirm fixierte und vor sich hin murmelte, bevor er bemerkte: »Ich weiß nicht, ob das gute Nachrichten sind oder schlechte.«
Bollard ging zu ihm hinüber.
»Sprich nicht in Rätseln.«
Auf dem Monitor war ein Gesicht zu sehen, das Bollard sofort als das eines Toten identifizierte.
Sein Mitarbeiter rief ein paar weitere auf. Sie zeigten andere Details der Leiche. Der Mann war mit mehreren Schüssen in die Brust
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