BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
werden. Zum Beispiel ein Befehl zur totalen Abkoppelung vom Netz, der Disconnect-Befehl. Siehst du, hier?«
Langsam las Bondoni die Buchstaben- und Ziffernfolge ab: » KL 956739. Hol mich der Teufel!« Sein Gesicht, überzogen vom blauen Schein des Laptopmonitors, erinnerte Manzano an ein Gespenst. »Soll das heißen, die Amerikaner haben dich vom Netz genommen?«
»Nein. Ich weiß nur, dass der Disconnect-Befehl zwar nicht im italienischen Handbuch verzeichnet ist, aber trotzdem funktioniert. Das habe ich seinerzeit ausprobiert. Jetzt aber kommt der Clou: Weil die Funktion in Italien nicht vorgesehen ist, sendet der Zähler keine Informationen an den Stromversorger, wenn der Disconnect-Befehl aktiviert wird.«
»Moment, Moment! Für alte Männer wie mich: Soll das heißen, dieser Abschaltbefehl wird aktiviert, und die bei der Stromgesellschaft wissen das gar nicht?«
»Für einen alten Mann mit einer Flasche Wein intus schaltest du verdammt schnell.«
»Aber wie kann dieser Befehl überhaupt plötzlich aktiv werden?«
»Das ist die Frage. Ein Fehler im System vielleicht. Aber du bringst mich auf eine Idee. Komm.« Er schob Bondoni zur Tür. »Lass uns mal nachsehen, was dein Zähler macht.«
Ungeduldig wartete Manzano, bis Bondonis Finger, von Alter und Wein ganz ungelenk, den Schlüssel endlich ins Schloss schoben.
Bondonis Apparat zeigte denselben Zeichenkauderwelsch. Manzano stand mit offenem Mund vor dem Kästchen. »Da hol mich doch gleich … wenn das Zufall sein soll.«
»Das gefällt mir nicht«, flüsterte Manzano. »Das gefällt mir gar nicht.« Schon auf dem Weg zurück über den Hausflur rief er: »Lass uns etwas versuchen.« Er hob den Laptop vom Boden vor dem Schalterkasten, wo er ihn abgestellt hatte. »Holst du bitte einen Stuhl aus der Küche? Oder zwei, wenn du auch einen brauchst.«
»Himmel, was wirst du denn plötzlich so umtriebig mitten in der Nacht?«
»Zuerst soll dich der Teufel holen, jetzt ist der Himmel dran …«
»Man muss sich schließlich mit allen gut stellen.« Er verschwand in der Küche.
Während Bondoni polternd zwei Stühle aus der Küche schleifte, verband Manzano den Laptop per Infrarot mit dem Zähler. Er setzte sich auf einen der Stühle und wartete, bis die Verbindung stand.
Bondoni ließ sich neben ihm nieder und starrte neugierig auf den Computer.
»Und jetzt?«
»Jetzt spielen wir Stromgesellschaft. Über den Laptop kann ich mit dem Zähler kommunizieren. Ich gebe einfach den Befehl, uns wieder ans Stromnetz anzuschließen. Mal sehen, was geschieht.«
Er tippte den Code ein.
Aus der Küche war ein kurzes Rumpeln zu hören, das in leises Brummen überging.
»Jetzt versuch noch einmal den Lichtschalter.«
Bondoni gehorchte. Im Flur sprangen die zwei Deckenfluter an.
»Madonna! Kannst du das bei mir auch machen?«
»Nur wenn du aufhörst, alle Heiligen und Teufel anzurufen. Probier mal in der Küche. Und sieh nach, ob der Kühlschrank funktioniert.«
Bondoni verschwand abermals in die Küche, gleich darauf sah Manzano das Licht dort strahlen. Er hörte, wie die Kühlschranktür unter dem leisen Schmatzen der Gummiisolierung geöffnet wurde.
»Läuft«, rief Bondoni.
»Dann gehen wir jetzt zu dir.«
Binnen Minuten hatte er Bondonis Zähler umprogrammiert, und der Alte hatte ebenfalls wieder Strom in seiner Wohnung. Bondoni ging sofort auf die Toilette. Manzano betrachtete die Bilder an der Wand. Urlaubsfotos von Bondoni, mit seiner verstorbenen Frau, mit seiner Tochter. Er hörte den Strahl des alten Mannes ins Wasser plätschern. Dann das Röcheln der Spülung.
»Wasser gibt es noch immer keines«, erklärte Bondoni.
»Mist! Eine Dusche kann ich also vergessen.« Manzano zeigte auf die Bilder. »Wie geht es deiner Tochter?« Er wusste, dass sie bei der Europäischen Kommission in Brüssel arbeitete. Er merkte sich nie, in welcher Abteilung.
»Fabelhaft! Stell dir vor, erst neulich ist sie wieder befördert worden. Du glaubst nicht, was sie dort jetzt schon verdient. Und das alles von meinen Steuergeldern.«
»Dann bleibt das Geld ja in der Familie.«
»Aber die Mieten in Brüssel sind horrend! Heute ist sie los zum Skifahren. Nach Österreich. Als ob man nicht auch in Italien wunderbar Winterurlaub machen könnte!«
Manzano spürte jetzt auch den Druck in seiner Blase. Kein Wunder, nach einer Flasche Wein. Er wünschte Bondoni eine gute Nacht, der sich für Wein und Licht bedankte und die Tür hinter ihm absperrte.
Zurück in seinem
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