BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
es wirklich nicht«, beharrte der andere. Sein Gesicht war bleich, Schweiß stand auf der Stirn. Der Mann war nicht für harte Verhöre trainiert worden. Irgendwann würde er zusammenbrechen. Bollard fragte sich, wie weit er dafür würde gehen müssen.
Aber was, wenn der Kerl wirklich nichts wusste?
Berlin
»Die gute Nachricht ist«, hob Volker Bruhns, Staatssekretär im Finanzministerium, an, »die meisten Bankfilialen haben wieder geöffnet. Die Versorgung der Bevölkerung mit Geld ist vorerst gesichert. Und dann gibt es natürlich einige weniger gute. Um noch schlimmere Bank-Runs zu verhindern, wird die Ausgabemenge vorläufig auf hundertfünfzig Euro pro Person und Tag beschränkt. Die europäischen Börsen bleiben bis Mitte nächster Woche geschlossen, ebenso die US -Handelsplätze. Die Technik wäre zwar jederzeit einsatzbereit, allerdings sollen die Märkte erst Luft holen und die Neuigkeiten verdauen können, bevor sie wieder öffnen. Bis zum letzten Handelstag vergangenen Freitag verloren die wichtigsten europäischen und amerikanischen Indizes rund siebzig Prozent an Wert. Manche deutschen Unternehmen, die vor zwei Wochen noch Dutzend Milliarden wert waren, könnte sich momentan so mancher Superreiche aus der Portokasse leisten. Der Euro kam unter die Räder, obwohl die Europäische Zentralbank die Märkte flutete. Das ist natürlich eine Katastrophe in Hinsicht auf notwendige Öl- und Gasimporte, die sich dadurch extrem verteuern und die Energieversorgung diesmal von einer anderen Seite zusammenbrechen lassen könnten, weil wir uns die Importe nicht leisten können. Zum Glück – wenn man so zynisch sein will – folgte diese Woche der Dollar, nachdem auch die USA angegriffen worden waren. Das verbilligt die Importe wieder etwas, da Öl und Gas ja in Dollar abgerechnet werden. Wobei man hinzufügen muss, dass unsere strategischen Öl- und Treibstoffreserven noch für mehrere Monate reichen und auch die Preissteigerungen erst in mehreren Monaten wirksam werden, da die Preise in den meisten Fällen auf langfristigen Verträgen basieren.«
Er holte kurz Luft, fuhr dann aber nahtlos fort: »Die Entwicklung der Wertpapier- und Rohstoffmärkte ist nicht einschätzbar. Vielleicht kommt es nach dem Ende des Stromausfalls zu positiven Gegenbewegungen. Andererseits konnten die Märkte auf die Verschlechterung der Situation während der letzten Woche nicht reagieren. Die Militärputsche in Portugal, Spanien und Griechenland zum Beispiel werden nicht ohne Folgen bleiben. Die Anleihenkurse selbst für deutsche Staatsanleihen sind weit über das Niveau von griechischen, irischen, italienischen oder spanischen aus den schlimmsten Zeiten der Finanzkrise geschossen. De facto können wir uns zurzeit über den Kapitalmarkt nicht finanzieren. Das heißt, Deutschland kann in wenigen Monaten seine Kredite nicht mehr bedienen, seine Beamten und Renten nicht mehr bezahlen. Viele europäische Staaten werden schon wesentlich früher mit diesem Problem konfrontiert. Damit stehen die internationalen Finanzmärkte vor einem Zusammenbruch, gegen den alle Wellen der Finanzkrise harmlos waren. Nun ist die Politik gefragt, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern. Mögliche Szenarien sollen in« – er sah auf seine Armbanduhr – »vier Stunden bei einer Videokonferenz mit den Regierungschefs der G-20-Staaten, Vertretern der Europäischen Zentralbank, der Federal Reserve, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank vorgestellt und diskutiert werden.«
Paris
Die Zugfahrt von Orléans nach Paris dauerte ewig. Zu Annette Doreuils Entsetzen hielten sie in jeder größeren Ortschaft entlang der Strecke, aber wenigstens war sie auf dem Weg nach Hause. Und sie hatten Sitzplätze errungen. Die Bollards waren fast umgehend auf ihren Plätzen eingeschlafen. Doreuil starrte die meiste Zeit aus dem Fenster. Wie viele Tote lagen da draußen auf den Feldern noch, hastig verscharrt? Schließlich ließ sie sich vom Lärm im Zug ablenken, vor allem von den Kindern. Hoffentlich geht es Bernadette und Georges gut, dachte sie.
Weit nach Mittag erreichten sie Paris. Zusammen mit einigen Dutzend anderen Reisenden warteten die Bollards am Taxistand, während Doreuil wieder in die Halle lief, um dort jemanden zu fragen, der ihnen vielleicht weiterhelfen konnte. Der Informationsschalter war sogar besetzt. Doch um ihn drängten so viele Leute, dass Doreuil zum Taxistand zurückkehrte. Als tatsächlich ein Wagen auftauchte, brach unter den
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