BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
meiste Licht spendeten die Scheinwerfer der Autos. Kurz nach zehn Uhr abends erreichte sie den Bahnhof. Auch hier war fast alles finster, nur ein paar Notleuchten flimmerten. An den Eingängen zur Bahnhofshalle drängten sich Trauben von Menschen. Da Shannon nicht wusste, wo sich der Busterminal befand, zwängte sie sich hinein. In düsterem Dämmerlicht hatten die gestrandeten Reisenden die Bahnhofshalle zu einem gigantischen Notquartier umfunktioniert. Überall saßen und lagen Menschen auf dem Fußboden. Einige schimpften. Kinder jammerten und weinten. An den Schaltern versuchten die Ticketverkäufer die Wartenden zu beruhigen, wie Shannon aus den Gesten der Beteiligten schloss. In der Luft lag trotz der Kälte ein muffiger Geruch, durch den manchmal ein Hauch von Fäkalien zog.
Shannon suchte Anzeigetafeln. Die Bildschirme mit den Ankünften und Abfahrten waren blind. Sie kämpfte sich kreuz und quer durch die Halle, bis sie ein Schild fand, auf dem sie schwach das Zeichen für Busse erkennen konnte. Hoffentlich wies es nicht nur auf die städtischen Verbindungen hin. Sie folgte dem Pfeil, musste das Gebäude wieder verlassen und gelangte schließlich auf einen Parkplatz, auf dem sich Bus an Bus reihte. Dazwischen suchende, wartende Leute mit ihrem Gepäck. Zehn Minuten später hatte sie den Bus nach Den Haag gefunden. Shannon sah hoch zu den Fenstern, noch schien er nicht voll. Sicherheitshalber fragte sie den Fahrer.
» Oui, La Haye «, wie Den Haag auf Französisch hieß.
»Müssen Sie unterwegs tanken?«, fragte sie. Durch ihre Recherchen der letzten zwei Tage hatte sie gelernt, dass die meisten Tankstellen nicht mehr funktionierten. Sie hatte keine Lust, mitten auf der Strecke liegen zu bleiben.
» Non .«
»Wo bekomme ich ein Ticket?«
»Heute bei mir. Die Schalter sind geschlossen. Nur Barzahlung. Sechsundfünfzig Euro, bitte.«
Shannon zahlte und suchte sich einen freien Platz. In einer der hinteren Reihen waren sogar noch zwei nebeneinander. Wenn sie Glück hatte, setzte sich niemand neben sie. Fast sieben Stunden Fahrt in einem Bus waren kein Vergnügen. Noch weniger mit unterhaltungssüchtigen oder schlecht riechenden Nachbarn. Sie verstaute ihren Seesack in der Ablage über den Sitzen und wählte den Fensterplatz. Was für eine idiotische Idee, schoss es ihr durch den Kopf. Was habe ich mir bloß dabei gedacht? Aber jetzt saß sie da. Immerhin war es im Bus warm. Der Fahrer ließ den Motor an. Bei jedem, der jetzt noch einstieg, betete Shannon, dass er einen anderen Platz als den neben ihr wählte. Sie hatte Glück. Wenig später setzte sich der Bus ruckelnd in Bewegung und verließ langsam das Gelände.
Shannon legte ihre Daunenjacke zusammen und steckte sie als Kissen zwischen die Scheibe und ihren Kopf.
Draußen glitten die Schatten der Stadt an ihr vorüber. Irgendwann wurden die Schemen schwächer, unter einem sternen- und mondlosen Himmel versank die Landschaft in fast kompletter Dunkelheit. Shannon starrte in die Finsternis und dachte an nichts.
Berlin
Als Nächster war Staatssekretär Rhess an der Reihe.
»Geld regiert die Welt, heißt es so schön«, leitete er seinen Vortrag ein.
Hübsch, dachte Michelsen, diesen Satz einer Regierung hinzuwerfen. So viel Mut hätte sie ihm nicht zugetraut.
»Die Frage ist, wer regiert, wenn es auf einmal kein Geld mehr gibt?«
Gespannt wartete sie, wie er aus der Nummer wieder herauskommen wollte.
»Der Kollege Torhüsen hat es schon angesprochen. Zwar ist das Finanzwesen auf einen Stromausfall verhältnismäßig am besten vorbereitet. Banken können ein paar Tage lang ihren Betrieb einigermaßen aufrechterhalten. An den Schaltern können Kunden Bargeld abheben, an vielen Bankautomaten allerdings nicht mehr. Die Bargeldversorgung der Filialen ist so lange sichergestellt, wie die Geldtransporter Treibstoff beziehen können. Nach drei bis vier Tagen werden kleinere Filialen jedoch schließen, nach spätestens einer Woche auch große. Sehen Sie in Ihren eigenen Brieftaschen nach. Wie viel Bargeld tragen Sie bei sich? Enorme Auswirkungen wird das Versiegen des Geldkreislaufes auch auf die Wirtschaft haben. Unternehmen können keine Gehälter, Waren und Lieferanten bezahlen. Die Börsen sind gut ausgerüstet, ebenso die Europäische Zentralbank und die Clearingorganisationen, über die Finanztransaktionen abgewickelt werden. Schlechter dagegen sieht es für die Menschen und Unternehmen aus, die Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen wollen.
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