Blackout
erbärmlichen Anfang an. Ich saß mit trockenem Mund auf meinem harten, kleinen Stuhl und war überwältigt von der – wie es im Fernsehen immer so schön heißt – erdrückenden Beweislast. Freilich waren mir die Fakten vorher schon bekannt gewesen, aber wenn man sie so zusammengefasst hörte, ergaben sie eine Geschichte, nämlich wie ich Geneviève ermordet hatte, und das jagte mir eiskalte Angst ein. Sowie sich meine Nerven wieder beruhigt hatten, brachte ich nur noch einen einzigen klaren Gedanken zuwege.
Ich bin am Arsch.
Mein rechtschaffenes Plädoyer würde unter dem Druck der Realität zerkrümeln. Ich hielt an meiner Unschuld fest, hatte aber nur ein Bauchgefühl zu bieten, wenig mehr. Nichts erschien mir wichtiger als am Leben zu bleiben, frei zu bleiben. Selbst wenn ich dafür der Welt verkünden musste, dass ich ein Mörder war.
Als die beiden fertig waren, wollte ich die Antwort geben, die ich vorher schon in Gedanken eingeübt hatte, aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Ich faltete meine Hände auf dem zerkratzten Holz, starrte sie an, und dann hörte ich mich sagen: »Ich werde mich nicht eines Mordes für schuldig bekennen, den ich meiner Meinung nach nicht begangen habe.«
Die Anwälte sahen sich an. Ihre schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Meine Entscheidung hatte sie genauso schockiert wie mich selbst.
»Bei allem schuldigen Respekt«, wandte Terry ein, »aber wie können Sie immer noch annehmen, dass Sie es nicht getan haben?«
»Weil ich es irgendwo in mir spüren müsste, wenn ich es getan hätte.«
Draußen auf dem Flur räusperte sich vernehmlich die Wache. Terry kratzte sich am Hinterkopf, wobei seine Fingernägel in den Haaren ein deutlich ratschendes Geräusch machten. Im Fenster war die Sonne mittlerweile ein paar Zentimeter höher gestiegen, und ich musste im grellen Licht blinzeln.
Schließlich durchbrach Donnie das gespannte Schweigen mit einem Seufzer. Er ließ den Oberkörper nach vorn fallen, schlug sich mit den Handflächen auf die Knie und stand auf.
»Ich werde nicht auf schuldig plädieren«, beharrte ich. »Also, was machen wir jetzt?«
»Wir werden in jeder Phase so argumentieren, als hinge Ihr Leben davon ab.« Während er Papiere in seine Aktentasche stapelte, blickte er kurz auf. »Das tut es nämlich.«
Ich rollte mich in der Kälte unter meiner Decke zusammen und heftete die Augen auf die kahle Wand gegenüber. Einen Meter über dem Boden war der Zement fleckig, ein großer Klecks und darunter die Spuren, die die herablaufenden Tropfen gezogen hatten. Hier war bestimmt nichts Gutes passiert. Ich dachte an die Männer, die diese Zelle vor mir bewohnt hatten, die ihren unruhigen Schlaf geschlafen und ihre Träume geträumt hatten.
Ich war’s nicht.
Irgend so ein Arsch hat mich in die Pfanne gehauen.
Ich bin unschuldig.
Ein Wärter kam zu meiner Zelle und schob einen Umschlag durch die Gitterstäbe. »Sie haben Post.«
Ich hob das Kuvert vom Boden auf. Mein Name in einer weiblichen Handschrift. Ich setzte mich wieder hin und öffnete den Umschlag. Ein in kleine Schnitzel gerissenes Blatt Papier.
Schwester nicht um
Sag mir,
Ich habe Deine
Ich fühle
wenn es irgendet
Deinen Verlust
Die Überreste meines Zettels für Adeline glitten mir aus der Hand und segelten über den Boden. Einer sprang mir besonders ins Auge.
Deinen Verlust.
Ich bekam gar nicht mit, wie ich langsam auf den Zementboden sackte, bis meine Wange sich plötzlich auf den kalten Beton presste. Mein Körper krümmte sich um meine Knie, und in dieser Stellung blieb ich mehr oder weniger bis zum nächsten Morgen, als man mich für den Gerichtstermin abholte.
L.A. hatte ein ganzes Jahr ohne einen Mordprozess mit prominenter Beteiligung hinter sich gebracht. Soviel ich wusste, war ich weder berühmt noch ein Mörder, aber die Kräfte des freien Marktes wirkten dergestalt, dass ich plötzlich beides war. Die eigentliche Verhandlung wurde sechzig Tage nach der zweiten Anklageerhebung eröffnet, Zeit genug für mich, abzunehmen, bleich und zottelig zu werden und auch ansonsten höchst verurteilungswürdig auszusehen.
Die Verhandlung lief erst wenige Minuten, da wusste ich schon, dass meine Verteidiger recht gehabt hatten und das Ganze in einem Desaster enden würde. Wie versprochen, rammte mich die aufstrebende Starstaatsanwältin Katherine Harriman ungespitzt in den Boden – supergestylt mit vernünftig flachen Slingbacks und in Begleitung ihres extra aus
Weitere Kostenlose Bücher