Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
Vom Netzwerk:
hätten Sozialarbeiter es formuliert, in Wirklichkeit war es wohl eher eine Besserungsanstalt für die ganz schweren Jungs. Hope House lag in der Nähe des MacArthur-Parks. Ein Haus mit sechs Zimmern, in denen je zwei Jugendliche untergebracht waren. Rund um die Uhr waren Sozialarbeiter vor Ort. Die letzte Station vor dem Jugendgefängnis von L.A.
    Ich stieg aus dem Auto. Der Typ mühte sich gerade ab, sich aus seinem Rollstuhl auf den Fahrersitz zu hieven.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, bot ich an.
    Er drehte sich um.
Nur durch die Gnade Gottes kannst du laufen
stand auf seinem Baseballkäppi. »Na, klar doch, ich hab’s allein bis hierher geschafft, und jetzt weiß ich einfach nicht, wie ich in diesen verdammten Van kommen soll.«
    Hier kam ich ja auf Anhieb prächtig an.
    Das Haus war ein heruntergekommenes zweistöckiges Gebäude – mit abblätternder Farbe, schiefen Fensterläden und allem, was dazugehört. Als ich darauf zuging, geriet ich in den reinsten Wirbelsturm: Teenager stürzten aus ihren Zimmern, schrien sich an, stolperten über die kaputten Spielgeräte im Hinterhof. Eine Sozialarbeiterin mit südamerikanischen Zügen lief auf und ab und biss sich auf den Nägeln herum, während sie sich das Handy ans Ohr drückte. »Sein Bewährungshelfer ist nicht aufgetaucht, wir haben einen Fahrer zu wenig und ich muss zusehen, dass ich Patrick per Kaution freibekommen kann, deswegen kann ich mich nicht auch noch
darum
kümmern.«
    Sie legte auf und seufzte. »Sind Sie mein Fahrer?«
    »Nein, ich bin nur auf der Suche nach Junior Delgado. Ich muss ihn fragen …«
    »Wissen Sie was« – sie riss in einer abwehrenden Bewegung die Hände hoch, überlegte es sich dann aber anders und sprach in freundlicherem Ton weiter: »Bitte warten Sie draußen. Sie müssen mit Caroline Raine sprechen – sie ist unsere klinische Therapeutin. Sie ist gerade oben und muss sich mit einer Schmuggelgeschichte auseinandersetzen. Jeden Moment müsste sie runterkommen, aber ich sag Ihnen gleich, das ist heute nicht der beste Tag. Nehmen Sie sich eine Tasse Kaffee.« Sie wies auf eine Reihe getöpferter Kaffeetassen, die an Haltern aus Holz hingen. »Könnte allerdings eine Weile dauern. Wenn Sie ausgetrunken haben, waschen Sie Ihre Tasse bitte wieder ab.«
    Zum Koffeinnachfüllen ging ich nach draußen und setzte mich auf den Rand eines Übertopfs, der statt Pflanzen nur Dreck enthielt. Neben mir saß ein Junge, der ungefähr so lebhaft aussah wie James Taylor, der schlafmützige Songwriter aus den siebziger Jahren. »Weißt du, wo Junior ist?«
    »Keine Ahnung, Alter.« Er stand auf und trollte sich. Meine Gegenwart hatte ihn offensichtlich sehr gestört.
    Mir fiel auf, wie sehr mein Bild von Kinderheimen durch Filme geprägt war. Hier gab es keine Latino-Jungs mit langen Wimpern und sahniger Haut, keine Mädchen, die einen aus ihren schmutzverschmierten Gesichtern anstrahlten, keine eifrigen jungen Seelen, die nur auf ein Vorbild warteten, keine staatlich geförderten Musikprogramme oder verschmitzten Mathematiklehrer. Nur jede Menge Baggy-Shorts, Converse-Turnschuhe und finstere Gesichter. Die Rutsche auf dem Spielplatz war verrostet, und zwei Kletterstangen fehlten ganz. Ich dachte, dass Kinder wie diese hier vielleicht besseres Spielzeug verdient hätten, aber sie schienen sich mit dem zu behelfen, was sie hatten.
    Ein Junge mit Down-Syndrom saß auf einer der kaputten Gummischaukeln, hielt sich den Kopf und heulte: »Ich will zu meiner Ma-maaaa!«
    Ein Junge mit limonengrünem Sweatshirt mischte sich ein: »Du hast deine Mama doch selbst umgebracht, du Spasti.«
    »Ich weiß. Ich weiß.«
    Ich werde mich nie wieder in meinem Leben über irgendetwas beklagen,
dachte ich.
    Ein dürrer Latino-Junge, ungefähr fünfzehn Jahre alt, mit Lee-Jacke, Schlagjeans und trendy Turnschuhen. Er sah aus wie jemand, auf den sich mal ein Elefant gesetzt hat. Als er sich umdrehte, um mit einem Mitverschwörer die Köpfe zusammenzustecken, sah ich, dass der Rückenteil seiner Jacke bemalt war. Aerosol-Kunst, so nennt man das, glaube ich.
    »Junior?«
    Er kam zu mir herüber, setzte sich neben mich und korrigierte meine Aussprache seines Namens.
    »Entschuldigung. Ist das hier eine Arbeit von dir? Keine Angst, ich bin kein Bulle, nur ein Bewunderer.«
    Er warf einen Blick auf das zusammengefaltete Papier und lächelte. »Ja, das is von mir.«
    »Letzten Donnerstagabend gemacht?«
    »Woher weißt’n das?«
    Ich zeigte auf die Taubenfedern, die an

Weitere Kostenlose Bücher