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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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der Betonwand kleben geblieben waren. »Die Farbe war noch nass. Und ich weiß das Datum, an dem dieses Bild aufgenommen wurde. Um welche Uhrzeit bist du dort gewesen?« Ich brauchte einen Augenblick, bevor ich sein Zögern richtig deutete. »Keine Sorge. Ich werd es niemand weitersagen, dass du dich nachts rausgeschlichen hast.«
    »Spät. Ich würde sagen, ungefähr von Viertel vor zwölf bis zehn vor zwei.«
    »Wie sicher bist du dir da?«
    »Was ich sicher sagen kann, ist, dass ich bis zehn vor zwei da war.« Er zeigte mir seine beeindruckende Sanyo-Uhr. »Meine Uhr piepst immer zur vollen Stunde. Als ich gerade mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, hat sie ungefähr auf halber Strecke gepiepst.«
    Die digitale Zeitanzeige auf dem ersten Tatortfoto hatte 2 Uhr 07 gelautet. Was mich zu meiner nächsten Frage führte: »Warum hast du deine Arbeit nicht zu Ende gebracht?«
    »Bin unterbrochen worden.«
    »Von einem Auto?«
    »M-hm.«
    »Hast du gesehen, was das für ein Auto war?«
    »Ich seh alles, Kumpel.« Er spürte, wie erpicht ich auf seine Auskünfte war, und fixierte mich mit seinen braunen Augen. »Ist Miss Caroline damit einverstanden, dass du hier bist?«
    »Sie hat nicht gesagt, dass sie nicht einverstanden wäre.«
    »Aha. Hast du sie denn schon gesehen? Ich meine, wie sie aussieht?«
    »Nein.«
    Er grinste anzüglich.
    »Warum?«, fragte ich.
    »Entschuldigen Sie, Sir.«
    Ich drehte mich um und sah eine Frau vor mir stehen. Ihr Gesicht wirkte auf den ersten Blick wie eine schöne, zerschmetterte Maske. Narben zogen sich kreuz und quer übers ganze Gesicht – eine verlief vom Haaransatz über die Schläfe, eine andere begann unter ihrem Auge, lief über ihre Lippen und spaltete ihr den einen Mundwinkel.
    Mir fiel die Kaffeetasse aus der Hand. Das lag zwar wahrscheinlich eher an der amateurhaften Tonglasur als am Schock, aber so oder so war der Effekt der gleiche. Ich kam mir vor wie eine zimperliche Heldin aus einem Jane-Austin-Roman, der die Teetasse auf der Untertasse zittert, wenn ihr der Klatsch nach dem Ball zu Ohren kommt. Meine Verlegenheit wuchs mit jedem der peinlichen Kreisel, die der heil gebliebene Teil der Tasse auf dem Zementboden beschrieb, und Juniors erstickter Lachanfall war auch nicht gerade besonders hilfreich.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ist mir aus der Hand gerutscht.«
    Ihr Gesichtsausdruck verriet gar nichts. Die Kerbe, die quer über ihre Lippen verlief, war schief, und der Verlauf der längeren Narbe sah ähnlich willkürlich aus. Die Narben waren verblasst und an manchen Stellen war ihre Haut leicht fleckig, wo ich Hauttransplantate vermutete. Ihre Haare wurden langsam grau, allerdings nicht in einzelnen Strähnen. Vielmehr war ihr Haar insgesamt zu einem staubigen Sandelholzbraun verblasst. Ihren strähnigen Zopf hatte sie mit einem Bleistift zusammengedreht und hochgesteckt. Wenn man über die Beschädigungen hinwegsah, war ihr Gesicht umwerfend schön. Eisgrüne Augen, fein ziselierter Mund, wundervoll akzentuierte Wangenknochen.
    Ich streckte ihr die Hand hin: »Ich bin Andrew Danner.«
    »Sie sind mir von Ihrem Mordprozess bekannt.«
    Junior warf dem Jungen im grünen Sweatshirt einen Blick zu, und der machte stumme Mundbewegungen, die aussahen wie
»Boah, echt Wahnsinn!«
    »Junior, geh bitte auf dein Zimmer.«
    »Miss Caroline …«
    »Sofort.«
    Er flitzte davon. Wäre ich an seiner Stelle sicher auch.
    »Was wollen Sie, Mr. Danner?«
    »Ich versuche herauszufinden, was mir passiert ist. Ich hatte nur ein paar Fragen an Junior.«
    »Und da haben Sie sich gedacht, Sie kommen einfach mal hierher und befragen einen meiner Jungs, ohne sich vorher meine Erlaubnis einzuholen?«
    Ich rang mir ein Lächeln ab. »Seien Sie doch ein bisschen nett zu mir. Ich hatte einen Gehirntumor …?«
    »Damit kommen Sie hier nicht durch, Freundchen.«
    »O verdammt.«
    »Räumen Sie die Bescherung hier auf, und dann gehen Sie.«
    Sie ließ mich alleine auf dem Übertopf zurück. Die anderen Kinder lachten mich aus, darunter auch der Junge mit dem Down-Syndrom, und das Kind mit dem grünen Sweatshirt streckte mir sogar die Zunge heraus. Ich wollte Juniors Beschreibung des Autos, das ihn beim Sprayen gestört hatte, aber mir fiel keine Möglichkeit ein, wie ich noch einmal an ihn herankommen könnte. Vorerst.
    Also sammelte ich die Keramikscherben zusammen und fand im Flur einen Abfalleimer. Aus dem anderen Zimmer drangen die erregten Stimmen von Caroline und der anderen

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