Blackout
nie daran gewöhnt. Das tut man nie. Vielleicht kann man das auch gar nicht. Es ist immer da, und egal, wie vertraut du dich mit dem Thema glaubst, du bist doch nie bereit.«
»Hör mal, wenn das … also, wenn es irgendetwas gibt …«
Er unterbrach meinen verlegenen Versuch, denn er war nicht bereit, den schlimmsten Fall bereits in Betracht zu ziehen. »Wir haben noch eine Chance.« Er sprach hastig, seine Stimme zitterte. »Noch eine Runde. Wir haben noch eine Chance.«
Er stand auf, und ich folgte ihm die wenigen Schritte bis zur Tür, die von der Küche auf die Kiesauffahrt ging. Die Jalousie an der Tür tanzte hin und her, als ich am Türknauf zog.
»Das musst du verstehen. Hoffnung ist alles, was man hat. Das ist alles.« Er hielt sich am Türrahmen fest und wandte sein Gesicht so ab, dass es im Schatten war. Daher merkte ich erst, als er weitersprach, dass er weinte. »Tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir leid.«
Ich stand nur da und war überwältigt von der unfassbaren Begrenztheit der Sprache, die ich doch einigermaßen zu beherrschen meine, und wiederholte nur immer wieder: »Ist schon gut.« Wie ein Trainer mit einem kleinen Football-Spieler, der sich das Knie aufgeschürft hat.
Schließlich bedeckte er sein Gesicht mit der Hand und entschuldigte sich noch einmal, dann zog er die Tür still hinter sich ins Schloss und ließ mich allein mit den Grillen, die in der kalten Nacht zirpten.
[home]
24
M ein Handy führte auf meinem Nachtkästchen neben dem Wecker einen Stepptanz auf. 7 Uhr 02 . Lloyds Worte kamen schnell und aufgeregt. »Zwei Vergewaltigungen, eine sexuelle Belästigung und einmal Exhibitionismus.«
Ich setzte mich auf und lehnte mich ans Kopfende des Bettes, während ich mir die Augen mit dem Handballen rieb.
»Ich habe einen Verdächtigen für dich«, fuhr er fort. »Guck mal schnell in deine Mail – sieht aus wie Spam, in der Betreffzeile steht ›Echte Rolex-Uhren‹. Druck dir bloß die Anhänge aus. Die kann keiner nachverfolgen. Dann ruf mich zurück. Im Labor.«
Ich tapste in mein Büro, machte die Dateianhänge auf und druckte ein paar Blätter aus. Während ich sie durchblätterte, wählte ich auf meinem toten Festnetztelefon die Nummer des Labors, bevor ich meinen Irrtum bemerkte und zum Handy griff.
»Das erste Dokument enthält die Daten aller 153 braunen Volvos, die die Kfz-Meldestelle registriert hat und deren Nummernschilder mit einer Sieben beginnen«, erklärte Lloyd.
Ich überflog die Liste eifrig und hielt nach bekannten Namen Ausschau. Mein Atem ging schneller. Hatte einer von diesen Leuten vorgehabt, mich für einen Mord hinter Gitter zu bringen, den ich gar nicht begangen hatte? Hatte einer von ihnen das Messer in das weiche Fleisch über Genevièves Nabel gestoßen?
»Blättere mal zum nächsten Dokument«, befahl Lloyd. »Das sind Fotos und die Sündenregister der fünf Personen von Liste eins, die vorbestraft sind.«
Vier Männer und eine Frau starrten mich von meinem Bildschirm an, alle mit dem bleichen Gesicht und dem krausen Haar, wie es bei diesen Verbrecherfotos Standard ist. Ich erkannte keinen von ihnen wieder.
»Vier von denen sind nur kleine Fische«, fuhr Lloyd fort, »aber einer von ihnen gefällt mir. Der Typ gefällt mir sogar
sehr.
«
Noch bevor Lloyd den Namen aussprach, wusste ich, wen er meinte. Morton Frankel. Massige Brauen überschatteten dunkle Augen. Geblähte Nasenflügel, eckige Wangenknochen, kurzgeschorenes Haar. Schmale, gepflegte Koteletten liefen vom unteren Rand seiner Ohren in Spitzen aus. Er lächelte nicht, sondern entblößte nur seine Zähne, die ein klein wenig zu lang aussahen, als hätte er leichten Zahnfleischschwund. Sehnige Muskeln am Hals – offensichtlich hatte er sie angespannt, als das Foto geschossen wurde. Seine ganze Haltung und Aufmachung schienen bewusst darauf abzuzielen, bedrohlich zu wirken.
Wer zur Hölle war dieser Typ? Und wenn er der Mörder war, warum hatte er dann so viel ausgetüftelt, um mich ans Messer zu liefern? Welche Verbindung hatte er zu Kasey Broach und Geneviève? Und was zur Hölle hatte er gegen mich?
»Der Typ ist ja geradewegs einem Horrorfilmplakat entstiegen«, bemerkte ich.
» 99 und 2003 wegen Vergewaltigung festgenommen. Einmal verurteilt, die anderen Male konnte er auf Körperverletzung plädieren – er hatte eine Nutte krankenhausreif zugerichtet. Dafür hat er auch ’ne Weile gesessen. In einer anderen Ermittlung in einem Vergewaltigungsfall 2005 hat man
Weitere Kostenlose Bücher