Blätter treiben im Wind (German Edition)
Wege gingen. Doch Donna war sehr überzeugend in ihren Ausführungen. Das Zelt, in dem sie schlafen würden, hatte Julia auf ihr Pferd geschnallt bekommen. Donna und ihr Pferd waren für den Proviant zuständig.
Rundherum erstreckten sich Felswände bis zu achtzig Meter in die Höhe. Nur links von ihnen war es anders. Sie sahen dort keine kahle Felswand, die über Jahrtausende hinweg zu dem wurde, was sie heute ist. Es war wie ein Leuchten eines Spiegels, wenn Licht darauf fällt. Es war Wasser. Wasser, das aus dreißig Metern tosend in die Tiefe stürzt und sich in einem großen, natürlichen Becken sammelte. Sie standen am Rande des grün funkelnden Baches und ließen ihre Gedanken schweifen. Es fielen ab, die Sorgen und Ängste, die sie in Boston Tag für Tag ausstanden. Hier, am Havasu Creek, war die Welt anders, sie war friedlich und gab einem das Gefühl geliebt zu werden. Julia wusste, dass Donna alles für sie geben würde. Julia sah hoch. Sie sah in Donnas Augen, und spürte das erste Mal seit langer Zeit so etwas wie innere Zufriedenheit aus ihrem Blick sprechen. Ach, sie liebte sie so sehr. Sie sah in die Augen ihrer Mutter.
Donna erinnerte sich wieder an die ersten Tritte gegen ihre Bauchdecke. Sie streichelte darüber und sprach mit ihr. Oft antwortete sie mit einem weiteren Tritt. Die Geburt verlief mit einigen Komplikationen, aber, als sie Julia in Händen hielt, wusste sie: Julia ist mein rettender Engel.
Sie fühlte das erste Mal in ihrem Leben wahre Liebe. Ihr Onkel liebte sie anders. Julia konnte sie mit einfachen Gesten oder einer ihrer vielen gekonnten Arten zu Lächeln so viel bedeutende und uneingeschränkte Gefühle des Glücks vermitteln, wie das nie jemand anders schaffen würde.
Julia hatte ihr nun zehn Jahre gemeinsames Leben geschenkt. Es waren trotz aller Entbehrungen, Hindernissen und Niederschlägen die schönsten Jahre ihres Lebens.
Der brennende Tag hatte sich gen Ende geneigt und ein lauschig warmer Abend stand bevor. Donna hatte das silberfarbene Zelt neben dem Bach mühsam aufgebaut. Unweit von ihnen war eine Holzbrücke mit Geländer zu sehen; nach deren Überquerung war es nicht mehr weit nach Supai. Neben dem Zelt war eine Pappel zu sehen. Ihre Äste waren bereits morsch. Einige Meter weiter rauschte einer der Havasu Falls in die Tiefe. Am Fuße des Falls, in dem natürlich geschaffenen Becken von der Größe eines kleinen Swimmingpools, hatten Julia und Donna zuvor ein Bad genommen. Es fühlte sich an, als ob sie in einem Whirlpool sitzen würden. Das Wasser schäumte und massierte alle Stellen der Haut auf ungewöhnliche Art. Mitten in der Wüste in einem erfrischend kühlen Whirlpool zu baden war ein sagenhaftes Erlebnis. Wer es nicht selbst sah, würde es kaum glauben.
Sie spielten wie Geschwister. Sie bespritzten sich mit dem klaren Wasser und schnitten dabei lustige Grimassen. Dabei mussten beide lachen. Sie genossen die Ausgelassenheit des Moments. Danach ließen sie sich einfach nur in dem natürlichen Becken treiben. Donna dachte an all die schweren Jahre zurück. Jetzt war sie vierunddreißig. Sie hatte nur Julia, aber sie wollte die Jahre über nie mehr. Julia füllte ihr Leben aus. Sie musste hart arbeiten, im Copley Plaza Hotel, dass sie sich und ihre Tochter den Unterhalt finanzieren konnte. Eigene Vergnügungen, so wie dass vor Julias Geburt selbstverständlich war, hatte sie sich seitdem nie mehr geleistet. Die Reise in das Gebiet des Grand Canyon war endlich wieder ein Geschenk an sie selbst und an ihre Tochter.
Julias Vater, Maurice, konnte für sie nie diese Liebe aufbringen, die nötig gewesen wäre. Er sah sie als Beiwerk – zur Liebesbeziehung mit Donna –, aber nie als festen, wichtigen und den größten Bestandteil ihrer Liebe an. Doch dann passierte das, was Donna hoffte, nie wieder erleben zu müssen.
Der Führer hatte gesagt, dass sie in diesem Paradies nur ein kleines Feuer machen dürften. Donna hielt sich an die Anweisungen. Die Nacht hatte ihre Flügel über den Havasu Creek ausgebreitet. Einzelne Sterne funkelten am Himmel und der laue Wind spielte in den Bäumen und Büschen Melodien der Unbeschwertheit. Zwischen dem vielen Grün um sie herum waren vereinzelte Stellen mit rotem Sand. Dort hatte Donna das Feuer entzündet. Die Schatten der Flammen erschufen viele verschiedene Figuren auf ihren Gesichtern. Ihre Haare waren wieder getrocknet, obwohl das bei Donna schwieriger war. Sie saßen sich gegenüber, jeder auf einer warmen Decke
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