Blanche - Die Versuchung
selbstgefällige Haltung? Hatte Camille kürzlich ein Mittel gegen Krebs gefunden, von dem sie nichts wusste? Doch sie war noch nicht fertig.
„ E iner Deserteurin, die ihre Freunde i m Stich gelassen und sich aus dem Staub gemacht hat. Weil dir nichts heilig ist, und wir dir scheißegal waren. Weil du immer nur an dich gedacht hast. Was aus uns anderen wird, ist dir am Arsch vorbeigegangen …“
Das reichte.
Bevor sie wusste was sie tat , schoss ihre Hand vor, packte Camille am Hals und warf sie quer durch den Raum.
So viel zum Thema Selbstbeherrschung.
Cam landete rücklings auf einem kleinen Esstisch, der in hundert Einzelte i le zerbarst. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Marcel füllte den Rahmen aus. Was für ein Timing. Unwillkürlich fragte sie sich, wie viel er von dem Gespräch mitbekommen hatte. Doch er behielt sein Pokerface und ließ durch nichts erkennen, was in ihm vorging.
Er begrüßte Camille mit einem kühlen Kopfnicken, die sich wieder hoc h rappelte und Blanche einen mörderischen Blick zuwarf. Heilige Scheiße, womit hatte sie sich diesen Hass zugezogen? Weil sie als Achtjährige ihr Versprechen gebrochen hatte? Das war lächerlich. Oder aus Neid auf den Recaller, während Cam als Dienstältere mit leeren Händen dastand? Das war genauso bescheuert. Es mochte sein, dass sie sich ärgerte, aber im Kampf gegen die Dämonen hatte sie bewiesen, dass sie auch ohne Abberufer kla r kam. Also was zur Hölle lief hier ab?
„Enzo hat mir gesagt, wo ich dich finde, mignonne.“ Sein Blick wanderte zu Camille und verhärtete sich.
Oh , oh. Anscheinend hatte er den Zuhälter-Teil gehört.
„Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.“
„Mignonne?“, fragte Cam süffisant, und klopfte sich den Dreck des K ü chenbodens von der Hose. „Sie kann Kosenamen nicht ausstehen.“
„Ich werde es mir merken“, gab Marcel freundlich zurück, doch sein Blick war eisig.
Dann wandte er sich um, legte Blanche eine Hand zwischen die Schulte r blätter und führte sie zur Treppe. Dort verabschiedete sie sich mit einem Nicken von Alex, der ihnen mit unbewegter Miene nachsah. Camille erschien ebenfalls im Flur, und ihr glühender Blick brannte Blanche ein Loch in den Rücken, bis die Tür hinter ihr zufiel.
War auch schön , dich wiederzusehen, dachte Blanche und unterdrückte ein Seufzen.
5
E
nzo reagierte ungehalten, als ihm ein Besucher gemeldet wurde. Er hatte Nella den ganzen Tag nicht gesehen, von seinem Sohn ganz zu schweigen. Außerdem sah der Typ wie einer seiner Anwälte aus, was seine Stimmung nicht hob. Schwarze Haare, anthrazitfarbener Anzug, graue Seidenkrawatte, schwarze Schuhe. Fehlte nur noch der Aktenkoffer. Als er Enzos Arbeitszimmer durchquerte, machte er den Eindruck, als würde er einen Gerichtssaal betreten. Er verströmte Stärke und Macht wie ein Eau de Cologne, und das, obwohl er weder besonders groß noch kräftig wirkte – ein Anwalt eben. Sein Händedruck war verbindlich, als er sich ihm als Monsieur Arziel vorstellte. Wie war es möglich, dass dieser Niemand so weit in sein Reich vordringen konnte? Sein Name stand auf keiner Liste und es war nicht üblich, einen Fremden zu ihm vorzulassen, schon gar nicht jemanden, der ohne Termin einfach so hereinschneite. Musste er sich hier um alles kümmern?
„Es freut mich, dass Sie trotz Ihrer zahlreichen Termine Zeit für mich haben, Signore di Lorenzo.“ Arziel neigte leicht den Kopf, doch bei ihm wirkte diese Geste nicht ehrerbietig, sondern spöttisch.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sich Enzo und bot ihm den Besuchersessel an, während er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Normalerweise führte er seine Gäste zu der Sitzgruppe vor dem Kamin. Doch mit diesem Vogel stimmte etwas nicht. Seine Augen waren so dunkel, dass er die Iris nicht von den Pupillen unterscheiden konnte, und von seinem stechenden Blick bekam er Kopfschmerzen.
„Ich komme in einer geschäftlichen Angelegenheit“, begann sein Gast und zog ein goldenes Zigarettenetui aus der Innentasche seines perfekt geschnittenen Maßanzugs.
Er klappte es auf und entnahm ein dunkelbraunes Zigarillo, das sich wie durch Zauberhand selbst entzündete, als er genussvoll daran zog. Enzo betrachtete diesen Vorgang mit ausdrucksloser Miene. Falls er ihn beeindrucken wollte, musste er ein bisschen mehr auf der Pfanne haben als diesen Hokuspokus.
Arziel lächelte. „Signore di Lorenzo, mein Auftraggeber steht einer bedeutenden Organisation vor,
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