Blanche - Die Versuchung
aber in diesem Fall sind mir die Hände gebunden.“
Schwarzer Rauch entwich Arziels Nüstern, als er langsam ausatmete. Das Zigarillo rollte er bedächtig zwischen Daumen und Zeigefinger, während er Enzo mit dunklem Blick taxierte.
„Die Sache ist die“, fuhr Enzo fort, „dass ich ein gegebenes Wort nicht zurücknehmen kann. Ein Deal ist ein Deal. Nur, weil er mir jetzt vielleicht nicht mehr passt, kann ich ihn nicht einfach brechen.“
Arziel nickte. „Ich verstehe Ihr Dilemma. Eben darum wird mein Auftraggeber sich umso großzügiger zeigen.“
„Bedaure, aber da ist nichts zu machen.“
„Sind Sie sicher?“
„Sicuramente. Auch wenn Sie es mit der Ehre nicht so genau nehmen – in meinen Kreisen ist Loyalität unbezahlbar. Und sollte sich herumsprechen, dass mein Wort nichts mehr wert ist, kann ich meine Koffer packen und zurück nach Italien gehen.“
Arziels Züge verdüsterten sich, während der Rauch ihn wie dunkle Nebelschwaden umgab. „Wenn Sie meiner Organisation nicht helfen wollen, Signore di Lorenzo, wird Ihnen zum Kofferpacken keine Zeit bleiben, darauf haben Sie mein Wort.“
„Wollen Sie mir drohen?“, fragte Enzo nun belustigt. Der Mann war irre, keine Frage.
„Kann man das auch anders sehen?“, gab Arziel leise zurück.
Nun lächelte Enzo nicht mehr. Er zog eine neun Millimeter Browning Hi Power unter dem Tisch hervor, und legte sie auf die polierte Mahagoniplatte. „Unser Gespräch ist beendet“, sagte er in ruhigem Ton. Am liebsten würde er ihm hier und jetzt eine Kugel in den Kopf jagen. Aber womöglich hörte Nella den Schuss, mit ein bisschen Pech sogar Enzo junior. Außerdem würde dieser Spinner hässliche Flecken auf dem Perserteppich hinterlassen, und Blut ließ sich so schwer entfernen.
„Wie bedauerlich“, bemerkte Arziel und zog an seinem Zigarillo. „Dann kommt jetzt wohl die Stelle, an der ich Ihnen mitteilen muss, dass in diesem Fall eine abschlägige Antwort nicht akzeptabel ist. Wenn Sie uns nicht helfen, wird es mir ein Vergnügen sein, Sie dabei zusehen zu lassen, wie ihr kleines Imperium zu Staub zerfällt. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Ihnen nichts bleibt, Signore di Lorenzo. Keine Geschäfte, keine finanziellen Mittel, keine Freunde, kein Einfluss. Ohne Ihre Vormachtstellung werden Sie nicht mehr in der Lage sein, irgendjemanden zu beschützen, weder Ihre Männer noch die Familie. Nicht einmal Ihre kleine Freundin, schon gar nicht Ihren Sohn. Wie hieß er noch gleich? Ah, Enzo, nicht wahr? Wie originell.“
Wie eine wilde Hummel schoss Enzo aus dem Sessel und richtete die Waffe auf Arziels Schläfe. Das Ganze dauerte keine zwei Sekunden. Scheiß auf den Teppich, dachte er und drückte ab.
Arziel zuckte wie eine Natter zur Seite. Einen Sekundenbruchteil später wirbelte er wie schwarzer Rauch aus seinem Fauteuil, packte Enzo am Hals und hielt ihn in der Luft, als wöge er nichts.
„Das war aber nicht nett, mio figlio“, bemerkte Arziel, der offensichtlich nicht menschlich war, und blies Enzo schwarzen Qualm ins Gesicht.
Er hustete, dann wurde sein Blick unscharf. Enzo fühlte sich, als würde sein Angreifer nicht seinen Hals, sondern sein Herz in Händen halten, das er zusammenpresste, bis es einen Schlag aussetzte und rückwärts zu schlagen schien. Undurchdringlicher Nebel hüllte ihn ein, den er mit röchelnden Atemzügen inhalierte, bis seine Lungen brannten. Im Geiste zogen Bilder seiner Vergangenheit an ihm vorbei. Er erblickte seinen Sohn – nein, das war er selbst, in Enzos Alter. Sein Vater, der ebenfalls Enzo hieß, kniete vor ihm, die Hände auf den Rücken gebunden. Zahllose Tritte und Schläge hatten ihn übel zugerichtet, sein Gesicht war eine blutige Masse. Und nun sollte sein Sohn ihm den Rest geben. Warum er ausgerechnet in diesem Augenblick an den schmerzhaftesten Moment seines Lebens denken musste, war ihm schleierhaft. Damals hatte er tatsächlich alles verloren. Seine Eltern waren vor seinen Augen hingerichtet worden, da war er zwölf Jahre alt gewesen. Man hatte ihm sein Zuhause genommen und beinahe auch sein Leben, wäre sein Onkel Vincenzo mit seinen Männern nicht im letzten Augenblick gekommen, um die Eindringlinge aus Messina zu vertreiben. Noch in der sel ben Nacht hatte Onkel Vince ihn unter seinen Schutz gestellt und nach Paris bringen lassen. Er selbst war geblieben, um seinem Bruder und seiner Schwägerin die letzte Ehre zu erweisen und sie so zu bestatten, wie es sich gehörte. Danach begann er
Weitere Kostenlose Bücher