Blanche - Die Versuchung
Es dürstete ihn nach immer mehr Blut, und nie schienen genug Gegner da zu sein, in die er seine Klinge versenken konnte.
Bald langweilten ihn die Feldzüge auf der Insel. Auf der Suche nach Krieg zog es ihn Ende des elften Jahrhunderts Richtung Orient. Nachdem er maßgeblich dazu beigetragen hatte, Jerusalem von der islamischen Herrschaft zu befreien, trat Aestaroh auf ihn zu, Erzdämon und Herr des Westens.
Er erinnerte sich wie heute daran, welchen Eindruck der vernarbte Warlord auf ihn gemacht hatte – und es gab nicht viel, das zu diesem Zeitpunkt sein Interesse wecken konnte. Aestaroh schon. Als er ihm einen Platz an der Seite des Herrn der Finsternis anbot, zögerte er nicht. Damals musste er eine Entscheidung treffen. Er wählte, denn nie wieder wollte er machtlos sein und hilflos mit ansehen, wie das, was ihm lieb und teuer war, grausam zugrunde ging.
Er hasste seinen Schöpfer aus ganzer Seele, hasste ihn für die Prüfungen, die er ihm aufgebürdet hatte. Hasste dessen Kleinlichkeit und die Selbstherrlichkeit, mit der er herrschte. Ausgestattet mit der Macht des Feuers brannte er alles nieder. Dabei unterschied er nicht zwischen Mann und Weib, Kind und Vieh. Im Angesicht eines Gottes, der sich seiner Frau nicht erbarmt hatte, kannte auch er kein Erbarmen. Gott hatte Æywyn seinetwegen leiden lassen, er war taub und blind für seine Gebete gewesen. Nun wollte er, dass sein Schöpfer litt, indem er alles Leben niedermetzelte, und Gottes Werk vom Erdboden tilgte. Und wie der Herr des Lichts verschloss auch er Ohren und Augen vor dem Flehen anderer.
So watete er jahrhundertelang im Blut Unschuldiger, führte als Kriegsherr Armeen an, und brachte Feuer und Leid. Mit der Zeit veränderte sich die Art der Kriegsführung. Es wurde nicht mehr Mann gegen Mann gekämpft. Maschinen übernahmen das Morden und allmählich ließ sein Hass auf diese Welt nach. Er nahm die Rolle des Strategen ein, beobachtete, plante, und zog sich mehr und mehr aus dem aktiven Geschäft zurück.
Als er Blanche traf, war er zynisch geworden und gelangweilt von den Aufgaben, die Saetan ihm als seine rechte Hand zuwies. Die Langeweile verflog bei ihrem Anblick, der Zynismus ließ sich mehr Zeit. Auch wenn Blanche seiner Æywyn äußerlich nicht ähnlich sah, so besaßen sie das gleiche Wesen. Geborene Kämpferinnen, leidenschaftlich in dem, was sie taten. Loyal zu denen, die sie liebten, mit dem Herzen einer Kriegerin.
Blanche war für ihn wie eine zweite Chance, und er griff zu, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. Er war nicht mehr der gefallene Engel von damals. Heute war er mächtig genug, nach seinem Fall die übermenschlichen Kräfte zu bewahren und sich gegen Saetans Attacken zu erwehren.
Aber wie lange noch? Wie lange würde er das durchhalten? Wie oft konnte er Saetans Armdrücken gewinnen und gleichzeitig die Großfürsten abwehren? Um Letztere wollte Miceal sich kümmern. Blanche und er standen unter seinem Schutz, was jedoch nicht hieß, dass Saetan seine Bemühungen, sie zu orten, aufgeben würde. Nach universellen Gesetzen durfte der Teufel ihnen nicht mehr offen nachstellen, doch der Herr der Finsternis schmiedete seine eigenen Gesetze in den Tiefen des Höllenfeuers.
Konnte er Blanche vor diesem Hintergrund wahrhaft schützen?
Nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte, sagte er leise: „Heute bin ich stark.“
„Und bist du auch stark genug, es bis in alle Ewigkeit mit den Kreaturen der Hölle aufzunehmen?“
Das war der springende Punkt. Für Saetan war die Ewigkeit ein Augenzwinkern. Was anderen wie ein Zeitalter vorkam, war für ihn bloß das Sandkorn eines gigantischen Stundenglases. In der Hölle existierte keine Zeit. In dieser Welt schon. Saetans Kräfte waren unbegrenzt. Zwar konnte er starke Geister nicht brechen, aber wer wollte ihn daran hindern, so lange Stücke aus ihnen herauszuschlagen, bis er einen Zugang gefunden hatte? Es war eine Frage der Zeit, wann der Teufel ihn gebrochen hätte. Und dann würde er sich nehmen, was er seit Langem begehrte. Blanche.
Sie war der Auslöser für all dies gewesen. Tchorts Abtrünnigkeit, Waynes Tod, Beliars Verrat. Sie hatte Saetan zwei seiner stärksten Dämonen gekostet und ihn um einen Familiares gebracht, Waynes Seele. Saetans Rache wäre so grenzenlos wie die Zeit, die ihm zur Verfügung stand, Blanche für die Verluste bezahlen zu lassen.
Stellte sich die Frage, ob es sie schützte, wenn er bei ihr blieb, oder ob er sie dadurch in
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