Blanche - Die Versuchung
Gefahr brachte.
Tchort, der seinen Gedankengängen gefolgt war, nickte. „Gut“, sagte er geschäftsmäßig. Dabei schnippte er mit den Fingern, und in die Wände des Gewölbes kam Bewegung. Der Stein schien sich zu verflüssigen, rieselte als feiner Sand zu Boden und kroch über die Wände, als wäre die Schwerkraft etwas für Kinder und Leichtgläubige. Beliars Feuer flackerte, wurde mehr und mehr zurückgedrängt, bis es schließlich erlosch. Mit einem Mal war der Keller in Dunkelheit gehüllt.
„Und jetzt reden wir.“
Während der Fahrt zum Restaurant schwieg Blanche. Der Termin, den Enzo ihr am Vorabend aufs Auge gedrückt hatte, war ihr komplett entfallen.
Überhaupt hatte sie das Gefühl, dass die letzten vierundzwanzig Stunden jemand anderem passiert waren. Das hier geschah nicht wirklich. Nicht sie saß in diesem Augenblick mit Marcel in dessen gepanzerten Maybach, sondern irgendein Mädchen, das er zum Dinner ausführte. Und davor war sie auch nicht mit Camille zusammen gewesen, einer Halbdämonin, die schon seit Jahren Saetans Pack jagte. Einer Killerin, die den Behörden Arbeit abnahm, indem sie Unkraut vernichtete, bevor es wucherte und die Stadt überschwemmte. Das alles fühlte sich surreal an. Dazu passte, dass sie auf dem Weg zu einem Abendessen war, bei dem ihr Ex sie mit Sicherheit an ihre gemeinsame Vergangenheit erinnern würde, das perfekte Paar von damals.
Damals? Das war keine vier Wochen her. Dennoch fühlte es sich an, als würden Jahre dazwischenliegen. Blanche wusste ohne den Hauch eines Zweifels, dass sie nie wieder zusammenkommen würden, obwohl seine Augen etwas anderes sagten. Aber das würde sie nicht zulassen, sie würde ihm nicht einmal erlauben, mit ihr befreundet zu sein. Sie war ein emotionaler Krüppel und ein Geizhals, wenn es darum ging, Zuneigung zu verteilen. Der kalte Engel, dachte sie und schloss für einen Moment die Augen. Früher hatte Andrej sie moj ciomny aniol genannt, „mein dunkler Engel“. Das Wort kalt war darin nicht vorgekommen. Schon merkwürdig, wie sich die Zeiten änderten.
Während sie ihren Gedanken nachhing, spürte sie Marcels Blick. Ihr war klar, dass sich auf ihrem Gesicht die unterschiedlichsten Gefühlsregungen spiegelten. Sie wusste auch, dass dies mehr war, als sie üblicherweise von ihrem Innenleben preisgab. Nur wenn sie sehr entspannt oder mitgenommen war, konnte er in ihr lesen wie in diesem Augenblick.
Als der Wagen vor dem Restaurant hielt und der Fahrer die Tür öffnete, zuckte sie zusammen, als hätte er sie geohrfeigt. Marcel gab dem Mann ein Zeichen, die Tür wieder zu schließen, und ergriff ihre Hände.
„Blanche, mo n cœur , möchtest du lieber woanders hin?“
Sie atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Nein, hier war es ebenso gut wie an jedem anderen Ort. Enzo würde sie nicht aus ihrem Deal entlassen und Marcel war … sie schluckte. Er war einmal ihr Freund gewesen, und noch ein bisschen mehr. In Wahrheit tat es gut, ihn zu sehen, nur ließ das Timing zu wünschen übrig. Ihr gingen so viele Dinge durch den Kopf, Fragen, deren Antworten ungewiss waren, wie zum Beispiel die nach Tchorts erneutem Verrat. Und wo zur Hölle trieb sich Beliar herum? Warum war er nicht bei ihr?
„Blanche?“, fragte Marcel sanft, und drehte sie sachte zu sich. „Brauchst du Hilfe?“
„Nein“, schnappte sie, und biss sich auf die Lippe.
Eine kurze Pause entstand, dann fuhr er leiser fort: „Erinnerst du dich noch daran, dass wir einmal vereinbart haben, uns nichts vorzumachen?“
Sie nickte.
„Gilt diese Abmachung noch?“
Wieder folgte ein Nicken.
Er zögerte einen Augenblick. „Warum hast du mich verlassen?“
Sie versteifte sich, doch er behielt ihre Hände umfangen. „Wayne wurde ermordet, ich musste nach Paris, das weißt du doch.“
„Und warum bist du geblieben?“
Darauf wusste sie keine Antwort, zumindest keine, die ihm gefallen würde. W eißt du, ich arbeite jetzt für einen Erzengel, um Dämonen in den Arsch zu treten und sie zurück in die Hölle zu befördern. Außerdem ist der Teufel stinksauer auf mich , weil ich ihm Way n es Seele gestohlen habe. Deswegen muss ich ständig damit rechnen, von einem seiner Großfürsten abgemurkst zu werden, aber sonst geht’s mir gut. Und was machst du so?
Leise stieß sie den angehaltenen Atem aus und lehnte sich in das Rückenpolster.
„Gibt es … geht es um einen anderen Mann?“
Blanche stutzte. Tatsächlich gab es einen Mann in ihrem Leben,
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