Blanche - Die Versuchung
worden. Dass etwas zurückgeblieben war, ein Band, das man nicht zerschneiden konnte. Womöglich sollte sie sich an ihn erinnern. Eine irrationale Hoffnung keimte in ihm auf. Also wartete er und beobachtete.
Kurz nachdem ihr Bruder in den Krieg gezogen war, wurde das Dorf von Ælfreds Soldaten niedergebrannt. Darunter auch der Gasthof sowie die gesamte Jahresernte, um die Nordmänner von der Nahrungszufuhr abzuschneiden und sie zum Rückzug zu zwingen. Der Winter stand vor der Tür und eine Hungersnot drohte, die Bewohner des Ortes auszulöschen.
Noch einmal entschloss er sich, in ihr Leben einzugreifen. Er rettete Æywyn, die sich einmal mehr auf der Flucht befand – diesmal vor Ælfreds Kriegern. Diese hatten sie wie einen Hasen über die Felder gejagt, bis sie das Ufer des Trents erreicht hatte und in der Falle saß. Was er in den Gedanken der Soldaten las, ließ sein Blut gefrieren. Hass verdunkelte seinen Geist, und nicht zum ersten Mal während seiner langen Existenz als Hüter fragte er sich, wie Gott seine eigene Schöpfung ertragen konnte.
Er, Eliah, konnte es nicht, darum tötete er die Männer. Ausnahmslos. Sein Zorn und die Erbarmungslosigkeit, mit der er vorging, hätten ihn erschrecken müssen. Stattdessen fühlte er sich befreit. Die Welt wäre ein besserer Ort ohne diese Hunde, deren Leben eine Abfolge aus Raubzügen, Saufgelagen und Vergewaltigungen war.
Nach diesem Zwischenfall beschloss er, Æywyn zu ihrer Schwester auf Schloss Tamworth zu bringen. Dort durfte sie zunächst in der Küche arbeiten, bis der Fürst sie entdeckte und ihr die Pflichten als Zofe seiner Gemahlin übertrug.
Wochenlang umwarb der Fürst sie, denn er bevorzugte willige Bettgefährtinnen. Als sie nicht nachgab, drohte er, ihre Schwester mit dem Schmied zu vermählen, der Dank seiner Gewaltexzesse bereits drei Frauen ins frühe Grab gebracht hatte.
Æywyn zögerte zu lange. Am Ende heiratete ihre Schwester heimlich einen anderen, um der Ehe mit dem Schmied zu entkommen. Die Rache des Fürsten folgte prompt. Dem frisch gebackenen Gemahl ließ er die Hand abschlagen, denn der hatte sich genommen, was ihm nicht gehörte. Normalerweise wäre Æywyns Schwester aus dem Schloss gejagt worden, da sie sich dem Willen ihres Herrn widersetzt hatte. Doch der Fürst benutzte sie als Druckmittel und zwang sie in die arrangierte Heirat mit dem Schmied. Die erste Ehe erklärte er für ungültig. Daraufhin beschlossen die Schwestern, davonzulaufen. In der Nacht vor ihrer Flucht kam der Fürst in Æywyns Kammer und diesmal nahm er sich, was er als sein Recht als Herr über Land und Schloss ansah.
Und er zerbrach Æywyn. Ihre Stärke. Den Mut. Ihren Lebenswillen.
Das Gewicht der Erinnerungen zwang Beliar auf ein Knie und er krümmte sich am ganzen Körper bebend zusammen. Als könnte er die Bilderflut zurückhalten, barg er das Gesicht in den Händen und unterdrückte ein Schluchzen. Sein Hals wurde eng, er hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Er, der sie all die Jahre vor Leid und Unheil bewahrt hatte, kam zu spät, und das war etwas, das er sich bis zum heutigen Tag nicht verzeihen konnte.
In hilfloser Wut warf er den Kopf in den Nacken und schrie, bis seine Lungen brannten. Eine Symphonie aus Verzweiflung und Qual. Abermals ging das Kellergewölbe in Flammen auf, ein Dämonenfeuer, das seine Narben dunkel aufleuchten ließ. Er hatte versagt. Æywyn, die unter seinem Schutz gestanden hatte, war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Geschlagen, gedemütigt – gebrochen. Ihr Selbstvertrauen und die Lebensfreude, die sie wie eine leuchtende Aura umgeben hatte, waren in einer einzigen Nacht vernichtet worden.
Und das war seine Schuld.
Beim nächsten Jagdausflug des Schlossherrn sorgte er für einen Unfall, den der Fürst schwer verletzt überlebte. Als er nach dieser Episode zurück ins Licht wollte, musste er feststellen, dass man ihm die Flügel genommen hatte.
Es gab es kein Zurück.
Damals war er entsetzt gewesen. Niemals hätte er damit gerechnet, dass man ihn ausschließen würde. Der Fürst hatte schließlich nur bekommen, was er verdient hatte. Und dafür wurde er bestraft, er, ein Engel des Lichtes? Welcher Schöpfer ließ zu, dass Unschuldige litten, während die Täter davonkamen? War es nicht seine Aufgabe, als Krieger Gottes für Gerechtigkeit auf Erden zu sorgen? Wer, wenn nicht er, hatte das Recht, diejenigen zu bestrafen, die Unschuldige quälten?
Doch er wusste es besser. Eines der unverrückbaren Gesetze des
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