Blankes Entsetzen
Äußeren zu urteilen, war er ein körperlich starker Mann, übergewichtig, aber muskulös; er hatte den Namen seiner Frau auf den linken 100
Arm tätowiert, und an beiden Schläfen traten dicke Adern hervor. Ein Mann, den Helen sich mühelos in rasender Wut vorstellen konnte, ein Mann, den sie nur allzu leicht verab-scheuen könnte, selbst wenn sie von seiner Vorliebe für das Schlagen und das Schikanieren seiner Frau nichts gewusst hätte.
Das war genau die Art Voreingenommenheit, vor der eine Kriminalbeamtin sich hüten musste, wenn sie in einem Mordfall ermittelte. Doch nicht nur aus diesem Grund war Helen noch nicht bereit, Bolsover offiziell des Mordes zu beschuldigen. Es war auch eine Sache des Instinkts.
Irgendetwas stimmte nicht bei diesem Fall, sagte Helens Bauchgefühl. Es gab noch vieles, das sie herausfinden musste.
Vielleicht fehlte ihr der rauchende Colt, mit dem sie Bolsover den Weg zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe bereiten konnte.
Vielleicht war es auch etwas ganz anderes. So oder so, sie war einfach noch nicht bereit, sich mit einer Behelfslösung zufrieden zu geben.
Auch wenn sie Ally King eben das Gegenteil gesagt hatte –
ihre Gedanken kreisten immer noch unaufhörlich um Robin Allbeury, und sie hoffte mit kritischer Selbstanalyse, dass es nichts damit zu tun hatte, dass er ein außergewöhnlicher und attraktiver Mann war.
Denn ihr Leben war jetzt schon sehr lange ohne interessante Männer gewesen, überhaupt ohne Männer. Und sie war schließlich nur eine Frau.
Aber sie glaubte nicht, dass es das war.
Was war es dann?
101
15.
ie geht es dir, mein Schatz?«, fragte Angela, als sie W Lizzie an einem Sonntagnachmittag Ende April zu Hause anrief.
»Alles bestens, Mom«, antwortete Lizzie und erkannte, während sie sich in ihrem Lederstuhl zurücklehnte und die Beine ausstreckte, dass es ausnahmsweise die Wahrheit war.
»Jack quält sich nicht zu sehr?«
»Nein, er fühlt sich sogar ziemlich gut.« Lizzie wusste ebenso wie ihre Mutter, dass Jack normalerweise, wenn Christopher unterwegs war (im Augenblick hielt er Vorlesungen in Deutschland), unruhig auf die Rückkehr seines Vaters wartete.
»Er hatte gestern Physiotherapie, und es lief sehr gut.«
»Und Sophies Erkältung?«
»Besser«, antwortete Lizzie. »Die anderen beiden scheinen sich nicht angesteckt zu haben.«
»Sehr gut«, sagte Angela.
»Edward ist den ganzen Tag mit seinem besten Freund Mark unterwegs, und Gilly bleibt übers Wochenende hier, sodass ich ein bisschen an meinem neuen Projekt arbeiten konnte.«
»Ich störe dich«, sagte ihre Mutter.
»Eigentlich nicht«, sagte Lizzie. »Ich kann eine Pause gebrauchen.«
»Du klingst sehr zufrieden«, bemerkte Angela.
»Bin ich auch«, erwiderte Lizzie. »Was ist mit dir? Wie geht es William?«
»Wir hatten gestern Streit.«
»Im Ernst?« Hoffentlich nicht, dachte Lizzie, denn ihre Mutter war seit ihrer Verlobung sehr glücklich. Auch wenn noch kein 102
Hochzeitstermin festgelegt war (was Christopher und Lizzie angesichts des Alters der beiden ein wenig komisch vorkam), tat Angela die Romanze gut.
»Kein bisschen«, erwiderte ihre Mutter fröhlich. »Wir haben uns gleich abends wieder versöhnt.«
»Gut.«
»Alles dank Christopher«, sagte Angela.
»Wie meinst du das?«, fragte Lizzie.
»Du weißt schon, Liebling. Er hat mir mein Leben
zurückgegeben.«
»Das ist lange her, Mom«, sagte Lizzie. »Und du hast es selbst zurückbekommen.«
»Trotzdem ist es sein Verdienst.«
Bis zum Ende des Telefonats biss Lizzie die Zähne zusammen, doch als sie den Hörer auflegte, schien ihr dieser Tag ein wenig getrübt zu sein.
Ich müsste mich langsam daran gewöhnen.
Weiß Gott, sie hatte sich an viele Dinge gewöhnt. Zum Beispiel daran, die Zeit zu genießen, in der ihr Mann auf Reisen war. Und die Lizzie Piper Roadshow, wie man das bevorstehende Projekt getauft hatte, nahm sie inzwischen völlig in Anspruch. Seit alle Verträge unterzeichnet waren, hatte Lizzie auch ein besseres Gefühl bei der Sache. Howard Dunn und der Produzent der Fernsehreihe, Richard Arden, hatten bei mehreren Geschäftsessen Anregungen gemacht, wie die Idee sich umsetzen ließe, hatten es dann aber Lizzie überlassen, ein eigenes Konzept zu erarbeiten.
Sie hatte mit einer Reihe von Entwürfen gespielt – manche konventionell, andere origineller –, bis Dunn sie bei einer Besprechung davon überzeugte, zu dem Grundsatz zurückzukehren, nach dem sie bisher stets gearbeitet hatte:
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