Blankes Entsetzen
Einfachheit, wann und wo immer möglich, war die beste Lösung.
Tatsache war, dass man ihr im Grunde eine Carte blanche für 103
die Auswahl der sieben Schauplätze gegeben hatte, vorausgesetzt, sie waren europäisch, farbenfroh und würden Lizzie selbst, ihre Leser und die Fernsehzuschauer inspirieren.
»Du brauchst eigentlich keinen besonderen Gag, Lizzie«, sagte Dunn in seinem Büro, einem charmant-schiefen Raum mit Dachschräge und Holzbalken.
»Stimmt«, gab sie ihm Recht, »aber ich dachte an eine Art Aufhänger für die ganze Sendereihe.«
»Du selbst bist der Aufhänger, liebe Lizzie«, sagte ihr Verleger. »Warum sonst sollten sie so viel Geld in das Projekt investieren wollen?«
»Im Ernst?« Sie hatte ihre Zweifel.
»Natürlich.«
»Aber warum? Ich bin nicht seriös wie Delia, nicht trendy wie Jamie, und ganz bestimmt bin ich nicht umwerfend wie Nigella.«
»Du bist umwerfend wie Lizzie«, bemerkte Howard Dunn.
»Sei nicht albern.«
»Und du tu nicht so schüchtern«, sagte Dunn lächelnd.
»Außerdem ist es nicht nur dein Aussehen, sondern deine Persönlichkeit.«
»Ich bin doch nur ich«, sagte Lizzie.
»Und du zu sein ist genau das, wofür wir und das Fernsehen dich bezahlen. Dass du einfach nur Lizzie Piper bist.«
Nach diesem Gespräch machten sogar die Recherchen Spaß.
Lizzie genoss es, Reiseberichte und Geschichtsbücher zu wälzen und ihren Atlas durchzublättern auf der Suche nach Orten, die auf angenehmste Weise ihre Geschmacksknospen kitzeln würden.
»Ich fühle mich ein bisschen wie eine Betrügerin«, sagte sie eines Abends zu Christopher. »Das hier sollte Arbeit sein und nicht einfach nur Spaß machen.«
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»Warte mal ab«, sagte er weise.
»Ja, wahrscheinlich.«
Sie lächelte ihn an. Ihr war klar, dass er Recht hatte: Bei der Arbeit an dem Buch würde sie noch früh genug in Panik verfallen, würde die Nase voll haben von sich selbst, von ihrem Mangel an Talent oder Inspiration oder Fleiß. Und Christopher würde ihr zuhören, würde ihr gestatten, ihre Launen an ihm auszulassen und ihr nur selten widersprechen, sie dafür aber immer wieder ruhig und besonnen auf den richtigen Kurs bringen. Und in Zeiten wie diesen würde Lizzie wieder ganz genau wissen, warum sie ihn geheiratet hatte – auch ein Grund, warum sie bei ihm geblieben war.
Wenn es nur immer so sein könnte.
Seit Jacks Diagnose und ihrer anschließenden Entscheidung, Christophers »andere Seite« zu akzeptieren, waren mehr als sechs Jahre vergangen. Der Schock, der Lizzie befähigt hatte, sein Verhalten hinzunehmen, war längst verklungen, doch ihre natürliche Abscheu war bald umso heftiger zurückgekehrt.
Nicht, dass es wirklich einen Unterschied machte. Sie hatte wieder angefangen, sich zu wehren und ihm sogar zu drohen, wenn es ihr zu viel wurde, doch ihre Drohungen waren leer, und Christopher wusste es – der Mann, der Erfüllung fand, indem er Gewalt gegen seine eigene Frau gebrauchte, während er mit ihr schlief, und dabei eine unflätige Sprache benutzte. Mit Liebe machen hatte es für Lizzie nichts zu tun. Immer noch biss er sie, fügte ihr Schmerzen zu und machte ihr Angst, wobei er jetzt stets sorgfältig darauf achtete, ihr die Bisse und sonstigen Blessuren an Stellen zuzufügen, wo niemand anders sie sehen konnte – dafür reichte seine Selbstkontrolle, wie Lizzie mehr als einmal zornig feststellte. Dieser Mann, dieser Christopher Wade, wusste, dass sie ihn weder verlassen noch ihm die Kinder wegnehmen, noch ihn anzeigen würde.
»Und überhaupt«, sagte er eines Nachts in der Wohnung, »es 105
gefällt dir doch.«
»Ich hasse es. Es ekelt mich an.«
»Du bist eine starke Frau«, sagte Christopher. »Wenn du es so sehr hassen würdest, wärst du nicht mehr hier.«
»Du weißt, warum ich hier bin.«
»Du bist wegen deiner Kinder hier«, sagte er, »aber nicht nur.
Du bist hier, weil du mich immer noch liebst, und das hier ist ein Teil von mir.«
»Ja«, sagte Lizzie. »Da hast du sicher Recht. Aber es ist der Teil, den ich verabscheue.«
»Und doch machst du mit. Du fügst dich.«
»Ja«, sagte sie. »Und dafür verabscheue ich mich selbst. Ich wollte, du hättest die Kraft, das umzusetzen, was du mir geschworen hast, und dagegen anzukämpfen.«
»Das war vorher«, sagte er.
»Ich verstehe es nicht«, sagte Lizzie. »Ich kann nicht begreifen, warum ein Mann mit so viel Güte, mit einem solchen Verstand und solcher Stärke so etwas nachgibt …«
»So etwas?«, fragte er
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