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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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leise. »Der Verdorbenheit?«
    Sie schwieg.
    »Es ist mein Fluch, Lizzie.«
    »Nicht nur deiner.«
    »Nein«, sagte er.
    Schön wär’s.
    Jetzt, nach dem Anruf ihrer Mutter, spielte sie das Spiel wieder. Wenn das Leben immer so wäre wie diese Woche, wo Christopher unterwegs war und sie sich allein mit Gilly um Kinder und Haushalt kümmerte, könnte sie mehr oder weniger die Lizzie Piper sein, wie die Welt draußen sie sah.
    Das Spiel hieß Realität. Und die sah so aus, dass Jack sich nur deshalb vergleichsweise gut fühlte, weil es den Ärzten gelungen 106
    war, seine Schmerzen vorübergehend zu verringern – und weil sein geliebter Daddy nur wenige Tage auf Reisen sein würde.
    Die Realität sah so aus, dass sowohl der an den Rollstuhl gefesselte zehnjährige Junge als auch sein Bruder und seine Schwester unerträgliche Qualen erleiden würden, wenn Christopher dauerhaft auszöge.
    Die Realität sah so aus, dass es den Menschen, der »einfach nur Lizzie« war, nicht gab. Es gab eine Mutter und eine Tochter, eine Frau, die ganz gut schreiben und sehr gut kochen konnte.
    Und die Ehefrau, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
    Die Ehefrau, die Ende Juli, wenn alle vorbereitenden Gespräche geführt, die Planungen abgeschlossen und ihr Konzept – hoffentlich – in eine Fernsehreihe und ein halbwegs verständliches Skript umgesetzt waren, mit einer noch unbekannten Anzahl nahezu Fremder zu einer Reise aufbrechen würde, um irgendwo am Mittelmeer ihren von aller Welt respektierten Ehemann und ihre unschuldigen, noch immer ahnungslosen Kinder zu treffen.
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    16.
    ie Geschäfte liefen schlecht bei Patston Motors, vor allem, D weil Tony wegen seiner Trinkerei immer mehr Fehler machte. Er verlor Kunden, und ein Mann hatte gedroht, ihn wegen unlauteren Geschäftsgebarens anzuzeigen – woraufhin Tony sofort zu der Flasche Bell’s Whiskey gegriffen hatte, die er in seiner Schublade aufbewahrte.
    Wenn nur Irina, sagte er sich, dieses menschliche Fass ohne Boden, in das er sein ganzes sauer verdientes Geld schütten musste, ihm ein bisschen Liebe und Dankbarkeit zeigen würde, wäre alles leichter zu ertragen. Und Joanne, für die er einfach alles getan hätte, war mittlerweile auch nicht besser – sie warf ihm ständig diese kleinen Seitenblicke zu, die ihm sagten, dass sie ihn für eine Art Ungeheuer hielt.
    »Was ist bloß mit dir?«, fragte Paul Georgiou ihn eines Abends im Mai, als sie an der Bar des Crown and Anchor herumhingen.
    »Nichts.« Doch Tony wünschte sich bestimmt schon zum hundertsten Mal, über seine Probleme sprechen zu können.
    »Irgendwas stimmt doch nicht«, beharrte Paul. »Du ziehst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, und das schon seit Monaten, Kumpel.«
    »Das Geschäft läuft mies.« Das zumindest war nicht gelogen.
    »Ist das alles?«
    »Das ist ja wohl verdammt noch mal genug«, sagte Tony. »Die Rechnungen kommen mir zu den Ohren raus, ein Kunde droht, Anzeige gegen mich zu erstatten oder mich zusammenschlagen zu lassen …«
    »Was hast du ihm denn getan?« Paul blickte ihn beeindruckt an.
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    »Nichts. Er hatte einen Unfall, nachdem ich seinen Mercedes repariert hatte.«
    »Schlimmer Unfall?«, fragte Paul.
    »Nicht besonders schlimm, aber er macht eine Riesensache daraus.«
    »Und das ist der Grund, warum du so eine Stinklaune hast?«
    »Ja«, sagte Tony. »Das reicht vollkommen, das kann ich dir sagen.«
    »Aber …« Paul stockte.
    »Was?«
    Paul sah ihn unbehaglich an. »Es ist nur, dass Nicki und ich …
    wir können nicht vermeiden, euch zu hören. Die Wände sind verdammt dünn.«
    »Und?« Tonys immer noch attraktives, aber zunehmend dickeres Gesicht nahm einen kampflustigen Ausdruck an. »Was hört ihr denn, Nicki und du?«
    Die Verunsicherung seines Nachbarn wuchs. »Na ja … dass Joanne und du euch streitet.«
    »Na und? Dann streiten wir eben«, sagte Tony. »Wer tut das nicht?«
    »Jeder streitet. Nicki und ich geraten ständig aneinander.«
    »Na also«, sagte Tony. »Dann ist es ja keine große Sache, oder? Wir sind nur Menschen, nicht wahr?«
    »Sicher«, sagte Paul. »Ich wollte mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen, Kumpel.«
    »Gut«, sagte Tony.

    Joanne lebte jetzt fast an jedem Tag ihres Lebens in Angst.
    Die Klapse, die Tony der mittlerweile vier Jahre alten Irina versetzte, waren schon schlimm genug und trieben ihre Mutter fast in den Wahnsinn vor Wut und Verzweiflung, doch was 109
    Joanne richtig Angst machte, waren die ausgewachsenen

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