Blankes Entsetzen
Aufenthaltsorte der Patstons festgehalten hatte, doch das Gespräch diente dem Zweck, Joanne das Gefühl zu geben, sie selbst habe die Situation im Griff, und um ihr die Angst zu nehmen.
»Die Bibliothek«, sagte Joanne. »In der Hall Lane. Die South-Chingford-Bibliothek.«
»In Ordnung«, sagte Allbeury.
»Sie ist in der Nähe vom Kaufhaus Sainsbury’s«, fügte Joanne hinzu. »Das hilft Ihnen vielleicht nicht viel, aber …«
»Ich finde sie schon, Mrs Patston, machen Sie sich keine Sorgen.«
»Wir gehen oft dorthin, wissen Sie. Die Bibliothek hat ein gute Kinderbuchabteilung.«
»Also wäre Irina dort beschäftigt«, sagte der Anwalt. »Gute Idee.«
»Nächsten Montag«, sagte Joanne so abrupt, als müsste sie es aussprechen und die Verabredung schnell treffen, bevor sie es sich anders überlegte. »Glauben Sie, das wäre möglich, Mr Allbeury? Tony ist montags meist ziemlich beschäftigt.«
»Ich weiß es nicht genau, Mrs Patston.« Allbeury warf einen Blick in seinen Terminkalender. »Ich muss noch ein paar meiner eigenen Termine checken … aber ich glaube, es dürfte kein 180
Problem sein.«
»Was haben Sie eigentlich mit ›festhalten‹ gemeint?«, fragte Joanne. »Es wird doch niemand Tony wehtun, oder?«
»Ich habe damit nur gemeint, dass wir ihn beruflich einspannen, Mrs Patston. Nichts anderes.«
»Sind Sie sicher, dass er nicht wütend sein wird, wenn er an dem Abend nach Hause kommt?«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Allbeury. »Wir werden dafür sorgen, dass Ihr Mann am Tag unseres Treffens durch etwas sehr Erfreuliches aufgehalten wird.« Er hielt inne. »Ist das für Sie so weit in Ordnung, Mrs Patston?«
»Ja«, sagte sie. »Vielen Dank, Mr Allbeury.«
»Dann lassen Sie uns hoffen, dass wir einen Weg finden, Ihnen zu helfen«, sagte er.
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30.
elen Shipley hasste es, vor Gericht zu gehen. Sogar, wenn H sie ohne den geringsten Zweifel wusste – unabhängig vom späteren Urteil –, dass das Recht auf Seiten der Polizei lag und dass der Mann oder die Frau verdiente, was ihn oder sie erwartete, drehte sich ihr beim Anblick der Person auf der Anklagebank der Magen um, und eine Gänsehaut kroch ihr den Rücken herunter.
»Für einen Cop«, hatte Graham Shipley, ihr Vater und Ganztags-Kritiker, einmal zu ihr gesagt, »bist du eine Drückebergerin, wenn es darum geht, vor Gericht mitzuerleben, wie der Gerechtigkeit Genüge getan wird.«
»Die Angeklagten tun ihr nun mal Leid«, bemerkte Patricia, ihre Mutter, eher spöttisch als verteidigend.
Doch Helen empfand kein grundsätzliches, universelles Mitleid für die Angeklagten. Aber da gab es etwas in ihrem Innern – Menschlichkeit, hoffte sie –, das sie dazu brachte, sich immer wieder die Frage zu stellen: Wie und warum?
John Bolsovers erstes Erscheinen vor Gericht war für sie persönlich schlimmer als die meisten anderen Gerichtstermine.
Sie musste nicht aussagen, und sie wusste, dass man Bolsovers Antrag auf Kaution selbstverständlich ablehnen würde, denn die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ließen keinen Spielraum offen, was das betraf. Und als sie Bolsover beobachtete, wie er auf der Anklagebank saß, fand sie ihn immer noch durch und durch unangenehm, aber …
Das war das Problem. Dieses Aber.
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31.
a Christophers fünfundvierzigster Geburtstag auf einen D Samstag fiel, hatte Lizzie beschlossen, ihn gebührend zu feiern. Der Tag sollte zunächst der ganzen Familie gehören.
Falls das Wetter mitspielte, würden Angela und William dann zum Mittagessen in den Garten in Holland Park kommen.
»Ich fürchte, ich werfe euch vor dem Abend wieder raus«, erklärte Lizzie, als sie auch ihre Mutter einlud.
»Aber wenn du hörst, wohin wir gehen, wird es dich nicht weiter stören.«
»In die Oper«, sagte Angela sofort, denn sie hasste sowohl Ballett als auch klassische Konzerte jeder Art, mehr als alles andere jedoch die Oper. »Was will Christopher denn sehen –
oder sagt man hören?«
»Er weiß nichts davon«, sagte Lizzie.
»Eine Überraschung. Wie schön.« Ihre Mutter hielt inne. »Und du hast Recht, es macht mir überhaupt nichts aus.«
Lizzie hatte ihre Pläne für diesen Abend geheim gehalten und nur vier von Christophers liebsten Freunden und Verwandten eingeladen: seinen Bruder Guy Wade, einen Cellisten, und Moira, eine Violinistin, mit der er verheiratet war; außerdem Anna Mellor und ihren Mann, den Kardiologen Peter Szell. Sie hatte für Ariadne auf Naxos eine Loge in Covent Garden reserviert und im
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