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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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sicher?«
    »Ganz sicher.«
    Er kam ins Zimmer, lief rasch, ohne nach rechts oder links zu schauen, zu seiner Mutter und drückte ihr einen nervösen Kuss auf die Wange, um dann gleich wieder zurück zur Tür zu gehen.
    »Wenn du mich brauchst, Mom …«, sagte er.
    »Dann rufe ich dich, mein Schatz«, sagte sie. »Gute Nacht.«
    »Nacht, Jack«, sagte Edward.
    Jack antwortete nicht.
    Gilly kam kurz darauf nach Hause. Oben sah sie Lizzies Tür offen stehen und trat ein, um Lizzie auf dem Teppich neben Jacks Rollstuhl knien und seine Hand halten zu sehen. Jack, mit dem Gesicht zur Wand, rührte sich nicht und zeigte auch sonst keine Reaktion.
    »Was ist passiert?«, fragte sie.
    Lizzie drehte sich um und sah sie an. Ihr Gesicht war eine Maske der Verzweiflung.
    »Wir hatten einen kleinen … Eklat«, sagte sie.
    Zum ersten Mal regte Jack sich, öffnete die Augen und drückte seiner Mutter die Hand.
    »Es geht mir gut, Gilly«, sagte er.
    »Da bin ich froh.«
    Lizzie hielt seine Hand weiter fest. »Was willst du tun, mein Schatz? Ein bisschen schlafen? Etwas Heißes trinken?«
    Zum ersten Mal, seit er die Angriffe auf seinen Vater eingestellt hatte, sah er sie an; seine sanften Augen waren immer noch glasig vom Schock. »Schlafen, Mom.« Er hielt inne. »Wenn es dir gut geht.«
    »Ja«, sagte sie. »Möchtest du, dass ich dich schiebe?«
    »Ja, bitte.«
    Lizzie ließ seine Hand los, stand vom Boden auf und warf Gilly einen Blick zu.
    Wieder jemand, der in der Tür verharrte, als stünde der Raum unter Quarantäne oder würde Furcht erregende Wellen ausstrahlen.
    »Alles in Ordnung, Gilly.«
    Gilly nickte, sie hatte verstanden. »Wir sehen uns nachher.«
    Lizzie wartete, bis die jüngere Frau nach unten und in die Küche gegangen war, dann schob sie Jack aus dem Schlafzimmer und durch den Flur zu seinem eigenen Zimmer.
    »Willst du, dass ich bei dir bleibe, Schatz?«, fragte sie ihn.
    »Mir geht es gut.«
    Sie half ihm aus dem Rollstuhl und ins Bett, dann deckte sie ihn zu.
    »Ich glaube«, sagte Jack, »ich sollte ein Diazepam nehmen.«
    »Gute Idee«, sagte Lizzie.
    »Wenn ich wieder krank werde«, fuhr er fort, »kann ich dir und den anderen schließlich keine große Hilfe sein.«
    Heiße Tränen brannten in den Augen seiner Mutter und drohten ihr die Luft abzuschnüren, aber sie hielt durch – wenn er es kann, wirst du es doch verdammt noch mal auch können – und ging ihm seine Tabletten holen. Er war zehn Jahre alt, und er kannte die Namen von viel zu vielen elenden Medikamenten; er war reifer als viele Menschen, die doppelt so alt waren wie er, und er beschämte sie.
    »Erzählst du es Gilly?«, fragte er, als sie zurückkam.
    »Ich weiß nicht«, sagte Lizzie. »Was meinst du?«
    »Das ist deine Entscheidung«, sagte Jack. »Ich glaube …«
    »Was, mein Schatz?«
    »Ich glaube, es ist mir lieber, wenn sie es nicht weiß.«
    »Dann sage ich es ihr auch nicht«, sagte Lizzie.
    Sie erzählte Gilly nur, dass es einen schlimmen Streit gegeben und dass Jack sich sehr aufgeregt habe; dass Edward ein wenig und Sophie gar nichts davon mitbekommen hatte und dass sie es nach Möglichkeit dabei belassen wollte.
    »Ich sag ihr, dass ihr Vater wieder nach London fahren musste«, erklärte Lizzie.
    »Daran ist sie gewöhnt«, sagte Gilly.
    Sie stellte keine weiteren Fragen. Gilly hatte schon immer die Gabe besessen, auf schwierige Situationen einfühlsam und ohne Neugier zu reagieren. Sie kochte Lizzie einen heißen, süßen Tee und blieb bei ihr sitzen, während sie zu trinken versuchte.
    »Ich bin sehr müde«, sagte Lizzie nach einer Weile. »Ich glaube, ich gehe nach oben.«
    »Gut«, sagte Gilly. »Wenn du etwas brauchst, ganz egal, wie spät es ist …«
    »Ja«, sagte Lizzie. »Danke.«
    Sie ging zuerst noch einmal in Jacks Zimmer und stellte fest, dass er tief und fest schlief; ob es nun aus Erschöpfung war oder von der Tablette, die er genommen hatte, sie war dankbar dafür.
    Auch Edward war eingeschlafen; wahrscheinlich war es eine Flucht in den Schlaf gewesen. Auch Sophie schlief – die Einzige, die bisher noch unberührt war von alldem, auch wenn sich dies schon allzu bald ändern würde, ändern müsste.
    Ein Gefühl, das entfernt mit Erleichterung verwandt war, durchströmte Lizzie. Endlich war das Schlimmste geschehen; nun würde sie ihren Kindern nicht länger vorlügen müssen, dass zwischen ihr und ihrem Vater alles in bester Ordnung sei.
    Zugleich überwältigte sie die erschreckend frische

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