Blankes Entsetzen
habende Pathologin.
Kaum drei Stunden später half ihnen John Bolsover, stellvertretender Geschäftsführer eines Supermarkts, der seine Frau vor mehr als einer Woche vermisst gemeldet hatte, bei der Identifizierung. Zwar wirkte er verstört und aufrichtig besorgt um seine Kinder, doch als sowohl Lynnes Schwester als auch ihre Nachbarin ihn als Haustyrann erster Güte identifizierten, avancierte Bolsover rasch zum Hauptverdächtigen. Ihre Schwester mochte zwar unter Depressionen gelitten und unter der Fuchtel ihres Mannes gestanden haben, sagte Pam Wakefield, doch hin und wieder habe sie die Kraft aufgebracht, sich gegen ihn zu wehren – bis zu dem Punkt, an dem er sie anbrüllte und häufig auch schlug.
»Was genau wollen Sie mir damit sagen, Pam?«, fragte Helen im Wohnzimmer der völlig verstörten Frau.
»Ist das nicht offensichtlich?«
»Ich muss es in Ihren eigenen Worten von Ihnen hören«, meinte Helen.
»Was ich damit sagen will … Ich glaube, diesmal ist er zu weit gegangen.« Pam Wakefield starrte die Polizistin mit den grauen Augen und dem Stoppelhaarschnitt mit tränennasser Offenheit an. »Ich will damit sagen, dass es wahrscheinlich John Bolsover war«, sie sprach seinen Namen aus, als wären die Worte Gift in ihrem Mund, »der meiner Schwester den Kopf eingeschlagen, sie dort hingeschafft und Säcke auf sie geworfen hat.«
Wahrscheinlich. Da lag der Haken.
»Du solltest ihn möglichst schnell festnageln«, sagte Chief Kirby, ein stämmiger, grauhaariger Junggeselle aus Wolverhampton später zu Helen.
Leichter gesagt als getan, dachte sie, denn nach drei langen Verhören im provisorischen AMIT-Quartier – einem trostlosen Backsteinbau knapp zwei Kilometer vor Claris Green, der ebenso provisorisch war wie die AMIT-Einheit selbst – zeigte Bolsover nicht das geringste Anzeichen, dass er schlappmachen, geschweige denn ein Geständnis ablegen würde. Sein Anwalt beharrte nachdrücklich darauf, dass man seinen Mandanten entweder offiziell beschuldigen oder nach Hause gehen und mit seiner Familie trauern lassen solle.
»Wir sind immer noch keinen Schritt weiter«, sagte Helen Shipley zu ihrem Team, das sie fünf Tage nach Beginn der Ermittlungen im lokalen Einsatzzentrum der Polizei zusammengerufen hatte. »Mir liegt ein Schriftsatz vor, der besagt, dass ich entweder scheißen oder vom Klo verschwinden muss, und ich habe keinen Fitzel eines echten Beweises. Keinen Zeugen, keine belastenden gerichtsmedizinischen Analysen, keine Mordwaffe, kein verdammtes gar nichts.«
Der tödliche Angriff war mit drei brutalen Schlägen erfolgt, doch Dr. Patel hatte Helen erklärt, dass bereits der erste Schlag ausgereicht hatte, um den Tod herbeizuführen. Das deutete darauf hin, dass die nachfolgenden Schläge dem Opfer möglicherweise in Wut oder Raserei zugefügt worden waren. Die Mordwaffe, glaubte die Pathologin, war vermutlich ein Stein aus einem Garten oder Park in der Gegend von London Clay, vielleicht nicht allzu weit von der Stelle entfernt, an der man das Opfer gefunden hatte. Die Suche nach Fingerabdrücken in dem Schuppen hatte nichts ergeben, außer einer Hand voll zerbrochener Bierflaschen mit ein paar verschmierten Abdrücken, einem Haufen zertretener Cola- und Limodosen, ein paar alten Spritzen und keinem einzigen brauchbaren Schuh- oder Stiefelabdruck.
Das war alles. So verdächtig Bolsover auch war – zu dem Zeitpunkt, als Helen und ihr Team mit ihm sprechen konnten, waren die Chancen, an seinem Körper oder an der Kleidung einen möglicherweise belastenden Hinweis zu finden, längst fast null, so viel Zeit war zwischen Lynnes Tod und dem Fund ihrer Leiche vergangen. Außerdem waren die Durchsuchungen von Bolsovers Haus, seines Hondas sowie seines Schreibtisches und Schließfachs auf der Arbeit ergebnislos geblieben.
»Die Befragung der Nachbarschaft hat bisher nichts ergeben«, sagte Sergeant Geoff Gregory jetzt.
»Wir haben auch noch niemanden, der widerlegt, dass Bolsover zu Hause war«, sagte Constable Ally King, eine hübsche Schwarze, die das Team von der örtlichen Kriminalpolizei ausgeliehen hatte.
Lynnes Mann behauptete, zum Zeitpunkt des Mordes – einem Dienstag, als die Kinder in der Schule waren – zu Hause vor dem Fernseher ein Nickerchen gemacht zu haben, da er wegen eines Rückenleidens nicht arbeiten gegangen war. Und Valerie Golding gestand zwar, dass sie nichts lieber getan hätte, als die Geschichte ihres Nachbarn unglaubwürdig klingen zu lassen, doch sie hatte
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